Semesterüberblick
Genres der fünfziger und sechziger Jahre und Autorenkino


Michelangelo Antonioni
 


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1. Die fünfziger und sechziger Jahre – Überblick

Die Bedeutung des amerikanischen Kinos auf die italienische Kinolandschaft wird ab den fünfziger Jahren immer größer: amerikanische Filme überschwemmen den italienischen Markt und finden großen Anklang beim Publikum.

Die Studios der Cinecittà werden wieder eröffnet, nachdem sie nach dem 2. Weltkrieg als Lager für obdachlos und heimatlos gewordene Menschen gedient hatten.
1945 werden hier 25 Filme gedreht, 1950 bereits 104 und 1954 201 Filme. Auch Hollywood-Produktionen (v.a. von MGM) entstehen in den Studios der Cinecittà („Hollywood sul tevere“) aufwändige Monumentalfilme wie Ben Hur oder Quo vadis?. Es kommt zu einer Koexistenz von Hollywood und italienischer Filmproduktion. Es enstehen auch viele Koproduktionen. Wichtige Produzenten: Dino De Laurentiis, Carlo Ponti (holt Antonioni nach Amerika)

Die konservative Regierung der DC fördert diese Studio-Produktionen.

Der Neorealismus löst sich als Bewegung auf, aber sein Einfluss ist auch weiterhin wirksam in folgenden Genres:

1. Der so genannte Neorealismo rosa (z.B. Due soldi di speranza von Renato Castellano, 1952) ist gekennzeichnet von einer optimistischen Grundhaltung, von Regionalismus (Verwendung von Dialekten), der Darstellung des Alltagslebens der „einfachen Leute“, jedoch ohne die scharfe gesellschaftspolitische Komponente, die für den Neorealismus charakteristisch war.

2. „Commedia all’italiana“: aktuelle Themen bzw. Gesellschaftskritik werden in satirischer Form dargestellt: einerseits wirtschaftlicher Aufschwung („boom economico“),andererseits politische Stagnation; das „alte“, antiquierte, anachronistische und unbewegliche Italien mit seiner heuchlerischer Sexualmoral, (Divorzio all’italiana); die vulgäre Konsumgesellschaft (Laviamoci il cervello aus: Rogopag, Il sorpasso); Amerikanisierung der italienischen Gesellschaft (Un americano a Roma)


Weitere Genres der fünfziger und sechziger Jahre

„Peplum“: ein Genre der fünfziger Jahre: Kostümfilme, wahlloser Rückgriff auf antike Mythen und deren Vermischung (griechische Halbgötter und Azteken!); Kraftmänner: Ercole-Serien mit amerikanischen und italienischen Schauspielern, die unter amerikanischen Pseudonymen auftreten. Neben dem Herkules-Kult ist auch Maciste, der im Monumentalfilm der Stummfilmzeit Cabiria das Licht der Welt erblickte, eine Figur diverser Serials.

Dieses Genre wird in den sechziger Jahren vom so genannten „Spaghetti Western“ abgelöst (Sergio Leone).



2. Cinema d’autore

1960 ist ein Erfolgsjahr für den italienischen Film: 50 Prozent der Einnahmen werden durch italienische Produktionen erzielt. Mitverantwortlich dafür sind die Regisseure des so genannten „Autorenkinos“, die Italien als eines der bedeutendsten Filmländer Europas etablieren. Italien wird fixer Bestandteil im europäischen Cinema d’art.
Die wichtigsten Erneuerer des italienischen Kinos sind Federico Fellini und Michelangelo Antonioni, in weiterer Folge Pasolini, Bertolucci, Bellocchio, Taviani, Ermanno Olmi, Wertmüller, Marco Ferreri, Cavani, Rosi, Risi.
Die künstlerisch und kommerziell erfolgreichsten Film von 1960 sind: La dolce vita von Fellini, Rocco e i suoi fratelli von Visconti und L’avventura von Antonioni (kommerziell weniger erfolgreich).

Die Vitalität des italienischen Kinos der sechziger Jahren hält bis in achtziger Jahre an.

Luchino Visconti

Seine Filme sind geprägt von Realismus und einem ästhetisierten Naturalismus einerseits, andererseits steht er in der Tradition des Melodramas und des bürgerlichen Romans. Stilistisch sind seine Filme von prunkhaftem Manierismus gekennzeichnet, z.B. Senso, Il Gattopardo, Morte a Venezia, Gruppo di famiglia in un interno.
Rocco e i suoi fratelli
ist stilistisch noch stark von Viscontis „neorealistischer Phase“ (Ossessione, La terra trema, Bellissima) geprägt.
Inhalt: Die Familie Parondi aus Lucanien emigriert nach Mailand in der Zeit des Wirtschaftswunders. Ihre Probleme betreffen nicht so sehr die wirtschaftliche Not oder die soziale Integration in eine vollkommen andere Realität, sondern vielmehr die Integration in eine individualistische Gesellschaft, in der verschiedene Werte vorherrschen, z.B. ein extremer Individualismus kontra Familienzusammengehörigkeit. Dies ist ein konstantes Thema bei Visconti: die Auflösung der traditionellen Familienstrukturen, der Einheit durch äußere zersetzende Elemente (s. Ossessione, La terra trema, La caduta degli Dei, Gruppo di famiglia)

Federico Fellini

La dolce vita: dieser Film entsteht mitten in den Jahren des Booms und wird zu einem kulturellen Phänomen (und zu einem geflügelten Wort). Fellini stellt eine Gesellschaft dar, die hinter dem Schein von Wohlstand und Modernismus extrem zerbrechlich ist. Der Protagonist schafft es nicht, sich eine stabile Existenz aufzubauen.
DerFilm wird in Fragmenten, Episoden erzählt, es kommt zu einer Auflösung einer einheitlichen Narration.

Otto e mezzo: Krise eines modernen Mannes, psychoanalytische Anspielungen, Verflechtung von Gegenwart und Vergangenheit, Traum und Wirklichkeit, Gleichzeitigkeit von verschiedenen Ebenen, Einbeziehung der psychischen Realität (Gegensatz zum Neorealismus). Der Film zeigt einen Regisseur in einer Schaffenskrise (Marcello Mastroiani als Fellinis Alter Ego). Ein Konflikt zwischen innerer und äußerer Welt entsteht und dieser Konflikt wird verinnerlicht. Fellini zeigt seine Figuren mit menschlicher Anteilnahme. (Neorealismus: Konflikt zwischen Mensch und sozialer Umwelt.)

Michelangelo Antonioni

L’avventura: definitive Loslösung von traditionellen narrativen Modellen. Zuerst wirkt der Film wie ein Thriller um eine Dreierbeziehung, dann verliert sich jedes Interesse für die Entwicklung der Handlung. Das Verschwinden von Anna verursacht eine innere Reflexionen der Personen: Unsicherheiten, Ängste, Einsamkeit kommen zutage.
Fast immer geht es bei Antonioni um bürgerliche Protagonisten, um eine fortschreitende Technologisierung, in der die Menschen keine geeigneten Mittel finden, um darauf zu reagieren. Er zeigt die Entfremdung der Menschen zueinander und zu einer fremd gewordenen Umwelt aus einer subjektiven Blickweise – zumeist aus der einer Frau (L’eclisse, Deserto rosso).


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