Thomas H.C. Lee: "Chinesische Ideen in transkultureller
Begrifflichkeit. Die Bedeutung der Geistesgeschichte"
Aus dem Englischen von Franz M. Wimmer
Im allgemeinen wird angenommen, daß
Menschen mit unterschiedlichem Kulturhintergrund dann am ehesten
miteinander in geistigen Austausch treten können, wenn
zunächst die wichtigsten Aussagen über kultureigene Ideale
und Werte in die jeweils andere Sprache übersetzt sind. . Eine
derartige Annahme stand als treibende Kraft hinter den Arbeiten von
Philosophen wie von Historikern. Im wesentlichen ist diese Annahme auch
richtig: ohne genaue Kommunikation über derartige
Gegenstände, wie Urteile über Wert oder Bedeutsamkeit es
sind, könnte kein gegenseitiges Verstehen stattfinden, und jeder
sinnvolle Dialog zwischen Kulturen wäre zu Ende.
Dies aber ist lediglich als
programmatische Aussage einfach: tatsächlich haben wir es immer,
sogar innerhalb einer Kultur selbst, mit demselben Problem der
Kommunikation zu tun. Wenn man eine Kultur auch als den Ausdruck einer
Reihe von Werten definieren kann, die einer Gruppe von Menschen
gemeinsam sind, zugleich auch als ein System von Codes und von
Glaubenssätzen, das in einer Tiefenstruktur gründet, so ist
damit doch nicht klar, wie diese Struktur am besten zu definieren sei
und wie sie durch die verschiedenen Epochen hindurch neu definiert
werden soll. Ernstzunehmende Denker arbeiten an diesen Fragen, indem
sie dauernd neue Ausdrücke schaffen, um das zu erklären, was
sie für wesentlich zur Interpretation des in einer Kultur
allgemein geteilten Wertesystems halten. Dieser ständige
Prozeß der Ausdrucksentwicklung wirft nicht nur für solche
Menschen Probleme auf, die außerhalb eines Kulturraums stehen,
sondern auch für die Menschen innerhalb des "Diskursbereiches"
solcher Ausdrucksweisen.
Der Dialog zwischen Werten
unterschiedlicher Kulturen ist daher doppelt schwierig, und wenn man
nicht anerkennt, daß die Übersetzung des
Wörterbestands, in dem die Werte oder Grundbegriffe einer Kultur
definiert werden, ein Prozeß ist, der selbst Beachtung verdient,
und daß innerhalb dieser Kultur ebenfalls ein ständiger
Prozeß von Neuinterpretationen stattfindet, so wird eine
Übersetzung lediglich antiquarischem Interesse genügen und
kann keine echte Kommunikation zwischen den beiden Kulturen bewirken.
Es ist äußerst
wichtig, zu definieren bzw. zu klären, wie Werte oder geistige
Grundideen in einem Kulturbereich ausgedrückt werden, weil Werte
und Ideen die unbewußt bleibenden kulturellen Prioritäten
reflektieren, oder weil sie Ausdrucksformen der Struktur sind, welche
die Glaubens- und Handlungsweise eines Volkes bestimmt. Es wird oft
angenommen, die wirksamste Kommunikation zwischen Völkern werde
durch das Übersetzen philosophischer Werke erreicht. Eine solche
Voraussetzung gründet auf der nicht näher geprüften
Überzeugung, daß alle Kulturen das Interesse an Philosophie
miteinander gemein haben. Es ist jedoch fraglich, ob diese Annahme
stimmt. Dies hängt davon ab, wie Philosophie definiert wird,
zumindest für den Fall der chinesischen Geistesgeschichte trifft
dies zu. Bevor ich nun darauf näher eingehe, will ich doch die
Prämisse begründen, daß das Studium der
"philosophischen" Aussagen einer Kultur durch die verschiedenen Epochen
hindurch, d.h. daß die Geschichte des Denkens notwendigerweise
einer der besten Wege ist, ein Volk zu verstehen, hierin nur dem
direkten Weg unterlegen, unter dem betreffenden Volk zu leben und ein
Teil davon zu werden.
In den Geist eines
Volkes auf rationale Weise eindringen, bedeutet, daß man jene
Aussagen dieses Volkes genau untersucht, die eine bewußte
Reflexion dessen sind, wonach dieses Volk strebt. Es gibt viele Wege zu
diesem Ziel, aber alle müssen sich zwangsläufig in der
Sprache des Beobachters ausdrücken lassen. Die Bestrebungen eines
anderen Volkes wahrnehmbar zu machen, bedeutet, daß in einem
rationalen Prozeß interpretiert wird, der auf der Sprache des
Interpreten beruht. Nur so kann man ein anderes Volk logisch verstehen,
um konsistente Urteile darüber fällen zu können, was
jeweils zu erwarten ist. Die Sprache, die an diesem Prozeß
beteiligt ist, ist höchst bedeutsam, und dies ist der Grund, warum
Übersetzungen nicht für sich selbst sprechen. Das Wissen, die
angehäufte Information, durchläuft einen
Destillationsprozeß. Dieser Prozeß ist Teil der
Bemühungen um Verständnis von seiten des Beobachters, die
hauptsächlich durch seine eigenen kulturellen Parameter begrenzt
oder bestimmt sind. Diese kulturell bestimmten Elemente dienen als
Schlüssel zur angestrebten Information oder als
Kommunikationsstrategien. Erst diese Elemente bewirken Kommunikation.
Genaue Übersetzung mit einer "Exegese" der
"Schlüsselbegriffe" einer Kultur ist daher das wirkungsvollste
Mittel der Kommunikation.
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Letzte Änderung am
05.01.01