Franz Martin Wimmer
Was geht uns die Philosophie aus Afrika an?
Aus dem Text:
Im allgemeinen Bildungsbewußtsein und in der
akademischen Szene
der Philosophie sind keine Klassiker der alten oder
neuzeitlichen
Philosophie
vertraut, die Schwarzafrikaner (gewesen) wären oder
sind. Anton
Wilhelm
Amo z.B. kommt in generellen Übersichten über die
europäische
Philosophie des 18. Jahrhunderts nicht vor. Wenn das bis
heute so
geblieben
ist, werden der Belehrsame und der Zitierwütige
keinen Anlaß
haben,
eine Zeitschrift oder ein Buch aus Afrika zur Hand zu
nehmen: es
handelt sich,
soweit die Indizien reichen, nicht um einen
traditionell-klassischen
und
anscheinend auch nicht um einen derartigen
gegenwärtigen Diskurs
in
Schwarzafrika, daß jemand vielleicht befürchten
müßte,
sich zu blamieren, wenn er/sie ihn nicht kennt.
Schon eher
können Verwirrungskünstler Anregungen und Ideen in
Afrika
suchen und ein Bild des afrikanischen Denkens erzeugen, das
dieser
Grundorientierung entspricht - etwa wenn in einer
schwärmerischen
Weise
vom Ganz-Anderssein der négritude die Rede ist und
damit
automatisch
auch auf eine andere Art von Philosophie geschlossen wird.
Es hat übrigens
gar nichts mit einer eurozentrischen Überheblichkeit zu
tun, wenn
solche
Auffassungen von vornherein als der Philosophie
Schwarzafrikas nicht
zugehörig ausgeschlossen werden: die Frage nach dem
Umfang dessen,
was zu
Recht Philosophie heißen soll, muß überall
gestellt
werden und
es handelt sich schlicht um eine Entscheidung des
Betrachters/Historikers, wenn
er bestimmte geistige Produktionen trotz ihrer vielleicht
allgemein üblichen Benennung, trotz ihrer
Selbstbenennung nicht unter
"Philosophie"
anführt. Als nützliches Kriterium zur Abgrenzung
diesbezüglich
schlage ich vor, zu fragen, ob Thesen vorgebracht werden,
die zu
gegenwärtig oder früher schon in der Philosophie
diskutierten
Themen
etwas behaupten oder negieren.
Es ist klar,
daß wir hier vor einem, vielleicht vor dem
Dilemma
der interkulturellen Philosophie stehen: wissend, daß
unsere
Vorfahren
lange Generationen hindurch mit allzu wenigen Ausnahmen
einen ganz
deutlich
eurozentrischen, rassistischen und sexistischen Begriff von
"Philosophie"
hatten und diesen auch mit allen ihren historischen Studien
zu
untermauern
suchten, macht es einerseits keinen Sinn mehr, einen solchen
Begriff
auch nur
der vorgeblichen Einfachheit halber weiter zu verwenden,
wenn er einmal
in
seiner ganzen Beschränktheit gesehen und damit obsolet
geworden
ist.
Andererseits aber ist in dieser "klassischen", der
europäischen
Tradition
"seit den Griechen" ein Bild von Philosophie entwickelt
worden, das
immer noch
- und auch im Vergleich mit den philosophischen
Entwicklungen anderer
Kulturen
- als vorbildlich gelten muß. Dies wird auch
überall dort
anerkannt,
wo nichteuropäische Philosophen sich bei aller Kritik
am
Eurozentrismus
doch auf Konzepte aus dieser Tradition stützen. M. Towa
hat das
einmal
sehr schön ausgedrückt, als er davon sprach,
daß nicht
eine
Abkehr von der europäischen Philosophie (insbesondere
von deren
"Rationalität" im Namen einer "Umarmungs-Vernunft",
einer "raison
etreinte") not tue, sondern deren Verwirklichung und
Umsetzung in die
Praxis in
den Konzepten von Gleichheit und Menschenrechten.
Es kann daher im
Rahmen eines interkulturellen Dialogs der Philosophie nur
darum gehen, zwei Ziele zu verfolgen, die nicht leicht zu
vereinbaren
sind: die
Beschränktheiten aufzuheben, denen die Zunft durch eine
lange
Periode
ihrer Geschichte erlegen ist - und gleichzeitig damit jedes
Abgleiten
in einen
unverbindlichen Exotismus zu vermeiden, also strikt darauf
zu achten,
daß
Sachfragen gestellt werden. Wir werden daher einerseits
vermeiden
müssen,
weiter für diejenigen zu sprechen, die selbst
sprechen
können
und wollen. Das war das entscheidende Merkmal im Verhalten
den
kolonisierten
Völkern gegenüber: daß ihre Menschen keine
Stimme
hatten - und
selbst dort, wo sie eine Stimme hatten und gehört
wurden, gab es
häufig noch den Hinweis, es handle sich um eine Art
imitierender
Marionetten.
Wir werden aber andererseits auch nicht zur Orient- und
Afrikafahrt
aufbrechen
und alles für zielführend halten dürfen, was
Europäern
nicht in den Sinn gekommen (oder uns heute nicht mehr
bekannt) ist.
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