Franz Martin Wimmer

Was geht uns die Philosophie aus Afrika an?



Vortrag im Rahmen der Tagung zu Philosophie und Ideologie in Afrika, Wien: IWK, Oktober 1989.
in: Neugebauer, Christian, Hg.: Philosophie, Ideologie und Gesellschaft in Afrika: Wien 1989. Frankfurt/M.: Lang, 1991. S. 139-152

Aus dem Text:
Im allgemeinen Bildungsbewußtsein und in der akademischen Szene der Philosophie sind keine Klassiker der alten oder neuzeitlichen Philosophie vertraut, die Schwarzafrikaner (gewesen) wären oder sind. Anton Wilhelm Amo z.B. kommt in generellen Übersichten über die europäische Philosophie des 18. Jahrhunderts nicht vor. Wenn das bis heute so geblieben ist, werden der Belehrsame und der Zitierwütige keinen Anlaß haben, eine Zeitschrift oder ein Buch aus Afrika zur Hand zu nehmen: es handelt sich, soweit die Indizien reichen, nicht um einen traditionell-klassischen und anscheinend auch nicht um einen derartigen gegenwärtigen Diskurs in Schwarzafrika, daß jemand vielleicht befürchten müßte, sich zu blamieren, wenn er/sie ihn nicht kennt.

Schon eher können Verwirrungskünstler Anregungen und Ideen in Afrika suchen und ein Bild des afrikanischen Denkens erzeugen, das dieser Grundorientierung entspricht - etwa wenn in einer schwärmerischen Weise vom Ganz-Anderssein der négritude die Rede ist und damit automatisch auch auf eine andere Art von Philosophie geschlossen wird. Es hat übrigens gar nichts mit einer eurozentrischen Überheblichkeit zu tun, wenn solche Auffassungen von vornherein als der Philosophie Schwarzafrikas nicht zugehörig ausgeschlossen werden: die Frage nach dem Umfang dessen, was zu Recht Philosophie heißen soll, muß überall gestellt werden und es handelt sich schlicht um eine Entscheidung des Betrachters/Historikers, wenn er bestimmte geistige Produktionen trotz ihrer vielleicht allgemein üblichen Benennung, trotz ihrer Selbstbenennung nicht unter "Philosophie" anführt. Als nützliches Kriterium zur Abgrenzung diesbezüglich schlage ich vor, zu fragen, ob Thesen vorgebracht werden, die zu gegenwärtig oder früher schon in der Philosophie diskutierten Themen etwas behaupten oder negieren.

Es ist klar, daß wir hier vor einem, vielleicht vor dem Dilemma der interkulturellen Philosophie stehen: wissend, daß unsere Vorfahren lange Generationen hindurch mit allzu wenigen Ausnahmen einen ganz deutlich eurozentrischen, rassistischen und sexistischen Begriff von "Philosophie" hatten und diesen auch mit allen ihren historischen Studien zu untermauern suchten, macht es einerseits keinen Sinn mehr, einen solchen Begriff auch nur der vorgeblichen Einfachheit halber weiter zu verwenden, wenn er einmal in seiner ganzen Beschränktheit gesehen und damit obsolet geworden ist. Andererseits aber ist in dieser "klassischen", der europäischen Tradition "seit den Griechen" ein Bild von Philosophie entwickelt worden, das immer noch - und auch im Vergleich mit den philosophischen Entwicklungen anderer Kulturen - als vorbildlich gelten muß. Dies wird auch überall dort anerkannt, wo nichteuropäische Philosophen sich bei aller Kritik am Eurozentrismus doch auf Konzepte aus dieser Tradition stützen. M. Towa hat das einmal sehr schön ausgedrückt, als er davon sprach, daß nicht eine Abkehr von der europäischen Philosophie (insbesondere von deren "Rationalität" im Namen einer "Umarmungs-Vernunft", einer "raison etreinte") not tue, sondern deren Verwirklichung und Umsetzung in die Praxis in den Konzepten von Gleichheit und Menschenrechten.

Es kann daher im Rahmen eines interkulturellen Dialogs der Philosophie nur darum gehen, zwei Ziele zu verfolgen, die nicht leicht zu vereinbaren sind: die Beschränktheiten aufzuheben, denen die Zunft durch eine lange Periode ihrer Geschichte erlegen ist - und gleichzeitig damit jedes Abgleiten in einen unverbindlichen Exotismus zu vermeiden, also strikt darauf zu achten, daß Sachfragen gestellt werden. Wir werden daher einerseits vermeiden müssen, weiter für diejenigen zu sprechen, die selbst sprechen können und wollen. Das war das entscheidende Merkmal im Verhalten den kolonisierten Völkern gegenüber: daß ihre Menschen keine Stimme hatten - und selbst dort, wo sie eine Stimme hatten und gehört wurden, gab es häufig noch den Hinweis, es handle sich um eine Art imitierender Marionetten. Wir werden aber andererseits auch nicht zur Orient- und Afrikafahrt aufbrechen und alles für zielführend halten dürfen, was Europäern nicht in den Sinn gekommen (oder uns heute nicht mehr bekannt) ist.


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