Lebenssituation ehemaliger Pflegekinder - eine Untersuchung der Lebenssituation und des Selbstbildes ehemaliger Pflegekinder unter besonderer Berücksichtigung der Erlebnisse während der Trennung von den Eltern


Diplomarbeit von Maria Fürst

Betreuer: A.o. Univ.-Prof. Dr. Michael Trimmel

Institut für Umwelthygiene der Universität Wien, Univ.-Doz. am Institut für Psychologie der Universität Wien


In der vorgelegten Diplomarbeit wird u.a. den Fragen nachgegangen, welche Auswirkungen das Trennungserlebnis in der frühen Kindheit auf die jetzige Lebenssituation zeigt, wie ehemalige Pflegekinder ihr Leben bewältigen, wie sie sich selbst sehen und ihre Lebenszufriedenheit einschätzen.

 Im theoretischen Teil werden neben den aktuellen Auffassungen der Eltern-Kind Bindung, auch die theoretischen Grundlagen der Persönlichkeitsentwicklung, des Selbstbildes und der Lebenszufriedenheit sowie der Problemkreis der Fremdunterbringung dargestellt.

 Von den Bezirkshauptmannschaften des Landes Niederösterreich wurden 213 Ansuchen um Mitarbeit an in Frage kommende Pflegefamilien (das Pflegekind mußte älter als 18 Jahre sein). verschickt. Von den 119 Antworten waren 38 Leermeldungen - mangels Interesse (16), kein Kontakt mehr zu den Pflegekindern (8), Ablehnung (14) - und 81 verwertbare Fragebögen. 42% wurden im ersten Lebensjahr von den Eltern getrennt, weitere 27% im 2. und 3. Lj (Einzelfälle bis zum 15. Lj.). Unabhängig vom Trennungsalter hatten 19% der Kinder unmittelbar nach der Trennung Kontakt zu den leiblichen Eltern. Einen ständigen Kontakt haben 8%, wobei aber 13% mehr Kontakt zu den leiblichen Eltern wünschen. 22% empfinden Vorurteile und 11% Benachteiligungen vor allem in der Gesellschaft, in der Familie und in der Schule. Für die Mehrheit war die Berufsschule der höchste Abschluß, 6% maturierten; 2 sind Studenten und einer ist arbeitslos. 84% bezeichnen sich als mit dem Leben zufrieden und sind im Vergleich zu zufriedenen Kinderdorfkindern etwas unkontrollierter, depressiver und durchlässiger. Die Ergebnisse zeigen weiter, daß die (früh)kindlich erlebte Angst vor der Trennung von den Eltern auch die derzeitige Lebenszufriedenheit mitbeeinflußt. Außerdem zeigt sich, daß der Kontakt der leiblichen Eltern auch nach der Trennung positive Einflüsse auf das soziale Selbstbild hat. Hinweise gibt es auch auf ein Gefühl der Machtlosigkeit im Sinne eines nicht vorhandenen Einflusses auf den Partner, auf Freunde und Arbeitskollegen (was gleichzeitig mit einer negativen sozialen Resonanz einhergeht), welche durch eine gelernte Hilflosigkeit begründet sein dürfte. Als Folge stellen sich Schwierigkeiten im emotionalen Ausdruck und der Herstellung von Dauerbeziehungen. Je mehr Beziehungsprobleme die Jugendlichen erfahren hatten (Nachteile und Vorurteile in der Gesellschaft, Kontaktwunsch zu den leiblichen Eltern, zwei Elternpaare zu haben, etc.), umso zwanghafter und depressiver erleben sie sich. Bezüglich des Trennungsalters zeigte sich, daß das Trennungsalter vom 1.-3. Lj. am relativ günstigsten ist (Kinder welche älter als 3 Jahre waren, hatten die größten Probleme) und weiters, daß jene Kinder die Trennung besser verkraften, welche nach der Trennung unmittelbar in ihre Pflegefamilie eingegliedert wurden und nicht erst vorübergehend in einem Heim untergebracht wurden.

Wien, am 1.10.1993