Erwin
Bader:
Zur
Frage nach Gott: Ist die Schöpfung zeitlich?
1.
Wer
von Schöpfung spricht, setzt einen Schöpfergott voraus, oder
wie Kant sagt,
einen Weltenurheber. Damit steht einmal die Frage nach Gott im
Blickpunkt.
Danach freilich auch die Diskussion um die wissenschaftlichen
Erkenntnisse um
den Evolutionsbegriff und die Reflexion von Folgen daraus.
Für
mich persönlich ist Gott ein evidenter Begriff, der von mir
notwendig gedacht
werden muß, wie ich dies auch bei Descartes gelesen habe. Aber
ich gestehe,
heute scheint dieser Gedanke nicht verständlich. Daher muß
man wohl Ableitungen
Gottes vornehmen, um diesen Begriff in der Philosophie vertreten zu
können. Die
Gottesbeweise sind allerdings auch ins Kreuzfeuer der Kritik gekommen,
so daß
ich mich einen anderen Weg zu gehen genötigt sehe.
Ich
möchte zuerst von einigen einleuchtenden Sätzen ausgehen, die
aber in der
Philosophie unserer Zeit in dieser Form zu wenig klar ausgesagt zu
werden
scheinen.
Alles
was ist, besitzt zwei grundlegende Arten von Eigenschaften: Die
besonderen, die
das jeweils Seiende von anderen Seienden unterscheiden, und das
Allgemeine, das
allem was ist gemeinsam ist, nämlich die Eigenschaft,
überhaupt zu sein. Das
Besondere setzt aber das Allgemeine voraus und das Allgemeine ist, zum
Unterschied vom Besonderen mit seiner unendlichen Vielfalt, nur eines.
Alles
was ist setzt das Sein voraus, um überhaupt sein zu können.
Das Sein ist nur
eines und doch tritt es uns in großer Vielfalt entgegen. Das Sein
selbst zeigt
sich darin, daß alles was ist, da ist und sich zeigen kann.
Wir
sind in der Welt nicht nur Beobachter dessen was ist, sondern wir sind
selbst
da, gemeinsam mit allem anderen was ist, als ein Teil der Summe von
allem
Seienden. Aber wir sind nicht nur ein Teil der Summe von allem, sondern
wir
sind auch Beobachter. Ein Stein ist da, ohne sein Dasein oder das
Dasein von
irgend etwas beobachten zu können, aber wir Menschen sind da und
wissen, daß
wir da sind. Jeder von uns Menschen kann denken: „Ich bin da.“ Alles
andere ist
auch da, aber wir haben mit unserem Bewusstsein einen anderen Zugang
zum
Dasein. Diese Instanz in uns, welche uns von den anderen Dingen, die
auch da
sind, aber sich dessen nicht bewusst sein können, unterscheidet,
nennen wir
unseren Geist. Er befähigt den Menschen dazu, daß er sagen
kann: „Ich bin da“
oder sogar: „Ich bin“.
Wenn
aber alles was ist, dies eine gemeinsam hat, daß es ist, und wenn
die Welt
sowie dieses ihr gemeinsame Sein trotz aller Unterschiede letztlich
eine
Einheit ist, dann gehört zu dieser Einheit des Seins auch der
Mensch mit seiner
Eigenschaft, daß er von sich weiß, daß er da ist. Das
Sein in seiner Ganzheit
kann also nicht anders gedacht werden, als daß nicht nur der
Mensch diese
Fähigkeit besitzt, zu wissen, daß er da ist, sondern
daß diese Fähigkeit auch
dem Sein schlechthin zu eigen ist. Zwar ist alles Besondere und die
unendliche
Summe von allem Besonderen durch seine in Raum und Zeit gegebenen
vielfältigen
Eigenschaften charakterisiert, aber das Allgemeine des Seins steht
gleichsam
über der Fülle der Konkretheit im Besonderen. In ihm ruht
freilich zugleich
auch jene Eigenschaft, die uns Menschen auszeichnet, nämlich das,
was wir als
Geist bezeichnen. Das Sein schlechthin ist also geistig, auch wenn es
sich erst
in all jenen materiellen Dingen zeigt, die da sind. Daraus folgt
unweigerlich,
daß das Sein schlechthin also ähnlich wie der Mensch von und
zu sich selbst im
Geist sagen können müßte: Ich bin da.
Dies
scheint aus dem menschlichen Nachdenken über das Sein klar
gefolgert werden zu
können. Dies schließt ein, daß das Sein schlechthin
über sich selbst freilich
auch denken kann - auch im Sinne: „Ich bin da!“ Kann es dann nicht auch
mit dem
Menschen in einer ähnlichen Art in einen Dialog treten, wie die
Menschen
aufgrund ihrer geistigen Eigenschaften untereinander in einen Dialog
treten
können? Es scheint, so meine ich ein Urwissen aller Menschen zu
geben, daß es
ein Geistiges hinter der Summe von allem Konkreten gibt, mit dem der
Mensch
dann auch versucht, in Verbindung zu treten - und das er als Gott
bezeichnet.
Angesichts
dieser Frage nach Gott in Beziehung auf das Sein wirkt es wie eine
glückliche
Besonderheit, daß in der Bibel Gott sich als „Ich bin der
>Ich-bin-da<“ (das ist die Bedeutung des Wortes JHWH - Jahwe)
zu
erkennen gibt, wenngleich es dann weiter in besonderer
Ausformung,
bezogen auf den Adressaten und somit augenscheinlich nicht ganz dem
Anspruch
der vollkommenen Allgemeinheit entsprechend, heißt: „der Gott
Abrahams, der
Gott Isaaks und der Gott Jakobs ... Das ist mein Name für immer,
und so wird
man mich nennen in allen Generationen.“ (Exodus 3,14-15)
Das
Allgemeine des Seins tritt wohl in besonderer Weise in Beziehung mit
den Sein
des Menschen, was man theologisch als Offenbarung interpretieren kann.
Im
biblischen Passus tritt es dabei zwar gleichsam stellvertretend mit
(anfänglich
einem) konkreten Menschen in Beziehung, will aber wohl mit allen
konkreten
Menschen in Beziehung treten. Wenn das Allgemeine von besonderen
Menschen erfaßt
wird, scheint es aus der Distanz doch auch partikulär und hat
anscheinend nicht
mehr die Vollkommenheit des Allgemeinen. Und doch gilt diese seine
Erkennbarkeit theoretisch in gewisser Weise für alle Menschen – in
je
besonderer, dem Individuum gemäßer Ausprägung.
Gott
lässt sich an den Werken erkennen, heißt es bei Paulus, also
„was man von
Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen
offenbart.
Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit,
wird
seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken, wenn man
sie
wahrnimmt...“ (Rö. 1, 19f.) Auch hier wird das Allgemeine
angesprochen, wie
es letztlich unabhängig von religiösen und kulturellen
Besonderheiten dem
Menschen vorliegt und sich durch die menschliche Vernunft
erschließen lässt.
Dazu scheint zunächst keine besondere Religion, allenfalls
Philosophie im
weiten Sinn vonnöten zu sein, um diesem Gedankengang folgen zu
können, aber
Paulus scheint auch anzudeuten, daß Gott selbst gleichsam
personal dahinter steht,
wenn der Mensch ihn erkennt, daß er sich also - in den Werken -
ausdrücklich zu
erkennen geben will. Von der Beziehung Gottes zum Menschen zu sprechen
ist
freilich ein Thema der Religion.
Wie
stehen aber Gott und die Schöpfung in Beziehung? Gott und die
Schöpfung sind im
Zusammenhang zu sehen. Gott könnte aus philosophischer Sicht
grundsätzlich auch
als mit der Schöpfung gleichsam verwoben interpretiert werden, bis
hin zu einem
Verständnis im Sinne des klassischen Begriffs des Pantheismus,
aber andererseits
auch im Sinne der mehr oder weniger strengen Unterscheidung zwischen
Geist und
Materie, wie dies auch im Begriff der Schöpfung zum Ausdruck
kommt. Dabei
taucht die schon bei den frühen arabischen Denkern, vor allem bei
Averroes
geäußerte Frage nach der zeitlichen Existenz oder Ewigkeit
der Materie auf.
Dies ist ein möglicher Impuls zur Infragestellung eines eigenen
zeitlichen
Schöpfungsaktes Gottes.
Aus
meiner obigen Ableitung ist Gott nicht denkbar, ohne daß es eine
Schöpfung
gäbe. Schon deshalb nicht, weil wir, die über ihn denken,
nicht bestünden und
ergo nicht über ihn denken könnten, wenn es keine
Schöpfung gäbe.
Wenn
es aber etwas gibt, das da ist, dann bedarf es des Seins, oder anders
gesagt,
wenn es etwas gibt, bedarf es der Instanz, die dieses Geben
ermöglicht.
Dies
sind zwei Seiten einer Beziehung zwischen Geist und Materie, welche
nicht zu
trennen sind: Die Angewiesenheit aufeinander und die Frage nach dem
Primat
einer Seite. Schon Aristoteles sagte, es gebe zwar keine Materie,
welche nicht
(gleichsam von einem Geist) geformt sei, aber das Formprinzip selbst
könne und
müsse es auch geben, ohne an Materie gebunden zu sein. Aber dieser
sein
Gedanke, der sich vom Schiffbau ableitet, leuchtet heute nicht mehr so
selbstverständlich ein wie zur damaligen Zeit, als er dies
geschrieben hat. Wir
haben einen Formbegriff, der sich im Alltagsverständnis
verändert hat. Es geht
bei Aristoteles um die Kraft des Formgebens, wie dies etwa beim
Schiffbau, der
damals wichtig war, zu sehen ist. Jedes Schiff bedarf eines Planers,
der die
Materialien nimmt und in die Form zusammenfügt, die er sich
freilich schon
vorher ausgedacht hat. Das Holz (hyle) ist der Baustoff des Schiffes,
die Form
(morphé) ist aber das Bestimmende. Heute wird man einwenden:
Aber es gab ja
schon vor dem Bau des Schiffes das Baumaterial, das Holz. (... freilich
in
anderer „Form“!) Aristoteles und vor allem - lange nach ihm - der
Thomismus
haben es für selbstverständlich angesehen, daß alles
Bestehende etwas
Verursachtes, besser gesagt ein Geschaffenes ist.
Zweifellos
ist speziell der heutige Mensch auch aufgrund seiner geistigen
Fähigkeiten
imstande, nicht nur Schiffe zu bauen, sondern noch viel mehr und
großartigere
schöpferische Leistungen zu erbringen. Und zweifellos ist diese
schöpferische
Fähigkeit des Menschen nicht aus einer geistlosen Materie allein
ableitbar,
sondern nur aus einer Existenz eines schöpferischen Geistes vor
der Entstehung
des (gesamten, insbesondere aber menschlichen) Lebens. Des Menschen
schöpferische Fähigkeit verweist auf eine schon vor ihm
vorhandene analoge
Eigenschaft, die dem (allgemeinen - höchsten) Sein zukommt. Da das
(geistige)
Sein selbst schöpferisch ist, kann ein besonderes Seiendes, der
Mensch, auch
schöpferisch sein. Da der Mensch ein Geistwesen ist, hat er
Ähnlichkeit mit dem
schaffenden Geist Gottes.
Der
Geist des Menschen manifestiert sich zuerst in intuitiv-archaischen
Formen, was
auch bei Künstlern oft bis in unsere Zeit introspektiv so
beschrieben wird,
letztlich formt er sich aber notwendig als wissenschaftlicher Geist,
weil nur
die wissenschaftliche Art des Denkens eine gesellschaftliche
(technische)
Koordination des Denkens und Kooperation des Handelns ermöglicht.
Selbst wenn
der Erfinder einer Maschine einen intuitiven Einfall, eine Eingebung
Gottes
gehabt haben will, so wird die Erfindung nur in ihrer wissenschaftlich
klaren
und möglichst eindeutigen Form zu einer technischen Anwendung
kommen können. So
hat sich der Mensch daran gewöhnt, alle schöpferischen
Vorgänge, wenngleich
diese in ihrem Ursprung vergleichbar sind mit individuellen
Kunstwerken, als in
technischen, mathematisch darstellbaren operativen Schritten
zergliedert
darzustellen. Wissenschaft gliedert alles Geschehen in rational
erfaßbare Teile
und hofft, so die Wirklichkeit selbst zunehmend in den Griff zu
bekommen. Die
Wirklichkeit zu begreifen heißt sie in den Griff zu bekommen –
aber auch
Verantwortung zu tragen.
2.
Thomas
von Aquin hat die Schöpfung der Welt durch Gott noch vor allem als
einen Gesamtvorgang
behandelt, heute aber sieht man die Entstehung der Welt, der Arten und
der
Menschen als eine Aufeinanderfolge von vielen beschreibbaren
Entwicklungsschritten und gibt dieser neuen Sichtweise den Namen
Evolution. Vor
allem Charles Darwin hat den Anstoß zu diesem Denken gegeben,
aber er wollte
damit eigentlich, so sagte er jedenfalls, nicht die Schöpfung
durch Gott
vollständig und grundsätzlich in Abrede stellen: „Es ist
wahrscheinlich etwas
Erhabenes um die Auffassung, daß der Schöpfer den Keim allen
Lebens, das uns
umgibt, nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form eingehaucht hat
und daß,
während sich unsere Erde nach den Gesetzen der Schwerkraft im
Kreise bewegt,
aus einem so schlichten Anfang eine unendliche Zahl der
schönsten und wunderbarsten
Formen entstand und entsteht.“ (Charles Darwin in: „Die Entstehung der
Arten
durch natürliche Zuchtwahl“)
Das
Problem des Schöpfungsbegriffs liegt in der Verknüpfung von
zwei Dimensionen
begründet: Die geistige, im wesentlichen überzeitliche
Dimension und die
materielle, zeitliche Dimension.
Augustinus
wurde einmal von einem Zweifler die intelligente und philosophisch
interessante
Frage gestellt, was denn Gott getan habe, bevor er die Welt erschaffen
habe.
Augustinus hat darauf noch intelligenter und Einsteins Erkenntnisse
vorwegnehmend erklärt: Bevor die Welt erschaffen war, gab es auch
noch keine
Zeit.
Diesen
Gedanken zu Ende denkend könnten wir aber auch zur Auffassung
kommen, daß es
auch keine genauen Zeitpunkte des Eingreifens Gottes in den
Schöpfungsprozeß
geben muß. Das Eingreifen Gotte in den
Schöpfungsprozeß könnte also demnach
einmal für immer erfolgt sein, wie dies die Deisten gedacht haben
und offenbar
in analoger weise auch Darwin dachte. Freilich ergibt sich daraus ein
Problem
hinsichtlich der Allmacht Gottes, welche einerseits gedacht werden
muß, wenn
Gott überhaupt als Schöpfer anerkannt werden soll, aber
andererseits nicht
gegeben zu sein scheint, wenn Gott nicht in der Lage wäre, zu
beliebigen
Zeitpunkten wieder in das Weltgeschehen einzugreifen. Wenn nämlich
Gott schon
diese Macht und Fähigkeit besitzt, so fragt man sich oft, warum er
dann nicht
mehrfach steuernd eingegriffen hat, um verschiedenes Unheil abzuwenden,
etwa
auch die Weltkriege und den Holocaust.
Aus
meiner obigen Skizze der Überlegungen zu Gottes Beziehung zur Welt
der Dinge
könnte sich eine mögliche Klärung ergeben, wenngleich
auch noch keine
Lösung der Probleme. Gott steht nach diesem Bild einerseits immer
in Beziehung
zu den Dingen und andererseits gleichsam ein zweites Mal in Beziehung
mit den
Menschen. Denn diese sind erstens zur Reflexion fähig, also
Verdoppelung des
schöpferischen Geschehens im eigenen geistigen Spiegel, und
zweitens zu eigenen
schöpferischen Eingriffen, also zu Gottes Schöpfertum im
Kleinen widerspiegelnden
Akten. Wie Gott als direkt in Beziehung zu den Dingen gedacht werden
kann, dies
entzieht sich unserem Denken, so lange wir nur die Dinge sehen und
diese nicht
auch als Botschaften von Gott erfahren, was unserem wissenschaftlichen
Denken
zuwider zu sein scheint. Also liegt es primär an unserer
personalen Beziehung
zu Gott, ob wir uns für empfänglich erweisen für die
zeitlose, aber doch je
konkrete Zuwendung zu uns als seinen Geschöpfen und die damit
verbundene
Inspiration, welche auch als Handeln und Eingriff Gottes gedeutet
werden kann.
Man
kann es also folgend sehen: Gott schafft durch die Menschen, welche mit
ihm
mehr oder weniger in Beziehung stehen, eine jeweils neue, bessere Welt,
wenngleich der Mensch auch in der Abwendung von Gott Dinge schaffen
kann,
welche dann aber nicht dem Willen Gottes entsprechen. Die
Schöpfung ist nicht
abgeschlossen, sie wird mit unseren Händen vollendet, aber unsere
Hände sind
auch wirksam, wenn sie sich gegen Gottes Willen wenden.
Gottes
Schöpfung kann, wenn Gott als allmächtig gedacht wird, auch
in der Weise
erfolgt sein, daß er alles bereits von allem Anfang des Daseins
an vorsorgte,
ja außerzeitlich dem Dasein das mitgegeben hat, was es braucht,
um sich Seinem
Willen entsprechend zu entwickeln. Zufälle mögen im Rahmen
der Vorsehung auch
vorkommen. Problematisch wird ja die Frage der zeitlichen Eingriffe
Gottes erst
mit dem Auftreten des Menschen, und hier liegt es vor allem an der
Inspiration,
die Gott dem Menschen zu schenken strebt, welche aber wohl nur wirksam
werden
kann, sofern sich der Mensch wenigstens minimal dem Göttlichen
gegenüber öffnen
will. Es liegt aber dann am Menschen, was er mit den geistigen
Anstößen
anfängt. Der Wille des Menschen ist frei.
Freilich
ist auch nicht zu leugnen, daß Gottes Allmacht, sofern sie
gedacht wird, auch
die Möglichkeit permanenter direkter Eingriffe in das
Weltgeschehen nicht
auszuschließen braucht. Grundsätzlich wäre auch
denkbar, daß Gott als Herr über
die Naturgesetze sich über diese hinwegsetzte, was rational zu
erklären aber
doch Probleme verursacht, oder daß er neue Naturgesetze schafft.
Naturgesetze
sind einerseits noch immer nicht alle bekannt, also ist das, was uns
als die
Summe der Naturgesetze scheint, wohl nicht die Fülle der
wirklichen
Naturgesetze. Aus den Naturgesetze folgen aber auch bisweilen
Ereignisse, die
mit großer Macht auftreten und gegen die Interessen der Menschen
gerichtet
sind, Naturkatastrophen eingeschlossen. Gott läßt sie zu,
wie er auch Tod und
Leid zuläßt, hält aber gemäß dem Glauben der
Gläubigen die Seinen stets in
seiner Hand, das heißt, die Verbundenheit mit Gott
läßt den Menschen trotz
allem Geborgenheit erfahren und wenn möglich auch Abhilfe finden.
Manche
unerklärliche Geschehen der Vergangenheit sind heute
erklärbar und in Zukunft könnten
noch weitere erklärbar sein, mit Hilfe späterer
wissenschaftlicher Einsicht.
Freilich wäre es auch logisch begründbar, wenn man annimmt,
daß die Summe der
Naturgesetze, einschließlich der uns Menschen nicht bekannten, in
Summe
konstant sei. Dies korrespondiert auch mit der Annahme der Ewigkeit der
Materie.
Für
die Ewigkeit der Materie scheint der Grundsatz zu sprechen, daß
aus nichts
nichts werden kann. Allerdings kann man heute schon deshalb nicht mehr
so
leicht wie früher die Creatio ex nihilo mit dem Hinweis ex
nihilo
nihil fit und damit den Gedanken der Schöpfung von Materie
ablehnen, da wir
nicht nur von der Existenz von schwarzen Löchern wissen, sondern
auch von der
Möglichkeit der Umwandlung von Materie in Energie und ungekehrt.
Materie ist nicht
ewig. Der Urknall ist ein heute geläufiges Bild der Wissenschaft,
das mit dem
der Urschöpfung korrespondiert. Und doch muß wohl alles eine
Ursache haben, wie
schon Aristoteles vom ersten Beweger sprach. Man kann Gott als die
Energie
schlechthin denken. Wie ja auch die Liebe im menschlichen Bereich
zweifellos
eine geistige Energie darstellt. Ähnlich wie der menschliche Geist
Schaffenskraft besitzt, so muß Gott, der als Urheber von allem,
nicht nur des
Menschen gedacht wird, ein Potential an Schaffenskraft, aber ein viel
größeres
Potential dazu besitzen. Kann er also nicht aus sich selbst auch
Materie
hervorbringen? Wenn Energie, warum nicht auch geistige Energie? Ist
nicht auch
die menschlich-geistige Energie imstande, nach wissenschaftlichen
Gesetzen und
in technischer Umsetzung sogar gleichsam Berge zu versetzen?
Aus
wissenschaftlicher Sicht steht fest, daß die Existenz der Materie
auch alle die
Gesetzmäßigkeiten impliziert, die deren Existenz bedingen.
Aus theologischer
Perspektive wieder kann in dieselbe Richtung der Anerkennung der
Dauerhaftigkeit des Daseins ins Treffen gebracht werden, daß Gott
als treu
gedacht wird und die Gesetze, die er gleichsam als Zusage an seine
Schöpfung
ein-setzt (wovon ja das deutsche Wort Ge-setz sich historisch
ableitet), auch
treu zu seiner Zusage steht. Man kann sich auf die Gesetze der
göttlichen
Schöpfung verlassen, mehr als auf jene der menschlichen Staaten.
Evolution
meint aber zunächst eigentlich nicht die Entstehung von Materie,
im Kern des
Begriffs ist damit auch keineswegs etwas über die Entstehung des
Lebens
schlechthin ausgesagt und auch von Darwin bekanntlich nicht so
verstanden
worden. Sondern es geht um die Entstehung der biologischen Arten. Ob
das Leben
sozusagen aus den der Materie bereits inhärenten Gesetze zu einem
bestimmten
Zeitpunkt und unter bestimmten Bedingungen dann tatsächlich das
Leben aus sich
heraus hervorbringt oder ob hier ein neuer Eingriff von Gott
stattfindet, ist
weder wissenschaftlich noch theologisch wirklich klärbar. Darwin
bestreitet diesen
Schöpfungsakt des Lebens nicht, Pierre Teilhard de Chardin
bestreitet umgekehrt
die Möglichkeit nicht, daß aus der von Gott geschaffenen
Materie das Leben nach
dem bereits vorher entworfenen und in die Materie gelegten Potential
seiner
Entwicklung hervorginge. In der Entwicklung entfaltet sich der (ewige)
Plan
Gottes, so sagt er, der schon vorher gleichsam „eingewickelt“ in der
geschaffenen Materie mit ihren Gesetzen vorliegt, bevor er sich
„entwickelt“,
also gleichsam „auswickelt“.
Nach
der klassischen Evolutionstheorie wird von der Existenz des Lebens
bereits
ausgegangen. Tatsache ist, daß jedes je vorhandene Lebewesen
einen Lebensimpuls
trägt, den es nicht nur von seinen Zeugern und Ahnen, sondern
zurückreichend
bis in die Anfänge des Lebens übernommen hat. Das Leben
selbst ist in uns seit
dessen Beginn weiter wirksam und starb nie. Das biologische Leben
besitzt also
in sich eine gewisse Potenz zum ewigen Leben. Ist diese Potenz zum
ewigen Leben
denkbar, ohne daß sie auch geistig vor der Erschaffung der Arten
schon
bestanden und auf ihre Entfaltung gewartet hätte? Ist das ewige
Leben nicht
auch als Eigenschaft des Geistes allgemein anzunehmen?
Es
gibt aber die Ausdifferenzierung von Lebewesen, welche die
Fähigkeit zu sterben
entwickelten, ungeachtet der in den äußeren Umständen
bestehenden Voraussetzung
zur Fortsetzung des Lebens. Sterben zu können erwies sich als
Voraussetzung zur
Höherentwicklung von Lebewesen, denn jene Lebewesen sind es, zum
Unterschied
von andren, auf welchen die Höherentwicklung des Lebens aufbauen
konnte, weil
nur sterbende Lebewesen sich schrittweise von Generation zu Generation
weiterentwickeln können. Nur sterbende Lebewesen konnten sich
daher auch zu
jenen komplexen Gebilden entwickeln, welche wir etwa in den
Säugetieren und so
auch biologisch in uns selbst als Menschen vorfinden.
Neben
der Fähigkeit zu sterben waren es zwei weitere Fähigkeiten,
welche die
Höherentwicklung von ursprünglich vorhandenen Einzellern erst
bedingten: Die
Fähigkeit, sich zusammenzuschließen und die zweite, sich zu
spezialisieren; es
geht also um die Verbindung von unterschiedlich spezialisierten
Einzellern zu
einem neuen Ganzen, das selbst die Rolle des Lebewesenseins von seinen
spezialisierten Einzelbestandteilen übernimmt. Dies erinnert an
die Organisation
von Menschen in einer Gemeinschaft, die sich auch spezialisieren und
kooperieren, um schließlich eine neue Einheit bilden zu
können.
Die
Voraussetzung, die der Mensch dazu benötigte, sich einerseits zu
Verbänden
zusammenzuschließen und solche als körperschaftliche
Personen aktiv werden zu
lassen, sowie sich zu spezialisieren, um unterschiedliche
Fähigkeiten zu
unterschiedlichen Diensten an der Gemeinschaft werden zu lassen, ist
eine
Wiederholung der Fähigkeiten, die schon das sogenannte einfache
Leben besaß. In
den Urzellen bestand also schon der Keim jener Fähigkeit des
Menschen zu
Staatenbildungen und wirtschaftlichen Prozessen, welche in der
Geschichte
beobachtet werden können und an welchen wir uns willentlich und
mit Eifer
beteiligen - oder auch nicht.
Teilhard
de Chardin hat die Entwicklung als Einheit begriffen und ihr einen
Anfang und
ein Ende zugedacht, wobei der Anfang in manchen Stukturbesonderheiten
dem Ende
entspricht oder schärfer ausgedrückt, wo der Anfang und das
Ende gleich sind.
Es kann nur das herauskommen, was schon vorher drinnen war. Ex
nihilo nihil
fit. Aus nichts wird nichts: Dies bedeutet auch, daß dieses
Alles, was da
ist, schon von Anfang an irgendwie angelegt, also im Ansatz gegeben
war. Es war
vorhanden, aber in anderer Form, also nicht sichtbar. Mit Gott als
nicht
Sichtbarem, in welchem alles schon gegeben ist, lässt sich dieses
Bild durchaus
begreiflich veranschaulichen: Gott als die Potenz, in dem alles
Aktuelle seinen
Ursprung hat. Die Entwicklung von allem aktuell Bestehenden im Sinne
der
Evolutionstheorie widerspricht so gesehen in keiner Weise dem Gedanken
der
Schöpfung, sondern erklärt diese Sichtweise erst.
3.
Die
Frage, ob die Schöpfung aber zeitlich vorstellbar oder gar
fixierbar ist oder
nicht, ist eine Frage, welche im Sinne der Relativität des
Zeitbegriffs, wie
wir ihn spätestens seit Albert Einstein zu denken gelernt haben,
nicht nur
nicht lösbar, sondern auch nicht mehr so bedeutend. Daß aber
ein Gott, wenn er
die Fähigkeit besessen haben soll, die Welt zu schaffen, auch
grundsätzlich die
Macht haben kann, in diese Welt gleichsam zeitlich einzugreifen, ist
aus diesem
Grunde logisch, weil die Macht des Schaffens andernfalls nicht gegeben
wäre,
die sich aber in der Tatsache der Existenz des Bestehenden zeigt. Auch
der
Mensch kann in nicht unbeachtlichem Maße schöpferisch
tätig sein und beweist
somit die Existenz der schöpferischen Fähigkeit, die aber
auch schon vor ihm
gegeben gewesen sein muß. Wenn der Mensch schöpferisch
tätig ist, verletzt er
aber nicht die Naturgesetze, sondern er benützt und
überlistet sie zu seinen
Zwecken. Soll Gott nicht auch diese besondere Fähigkeit weiterhin
haben, in die
Welt zeitlich einzugreifen, nachdem er sie den Menschen gegeben hat?
Die
Fähigkeit, auch in Treue zu den Naturgesetzen neue Perspektiven
seines
Schöpfertums geltend zu machen?
Wenn
es eine Schöpfung gibt, so ist es also naheliegend, daß die
Schöpfung zwar
grundsätzlich über der Zeit, aber auch zeitlich
wirksam wird, daß also
der Gedanke einer andauernden Schöpfung, eine creatio continua
möglich
ist.
Ich
bin schöpferisch, weil ich weiß, daß ich bin – und ich
bin, weil es ein Sein in
der schöpferischen Möglichkeit des Wissens, daß dieses
Sein auch ein „Ich bin“
ist, schon von Anfang an gegeben hat, bevor die Materie war, sofern man
diesen
Gedanken für denkbar hält, jedenfalls bevor die Materie
sich zum Leben
und das Leben sich zum Menschen geformt hat. Am Ende steht aber wieder
dasselbe: Ich denke an eine künftige Einheit aller Menschen der
Welt, den
Endpunkt einer gewendeten Globalisierung, in einer neuen Dimension
eines
Geistes, der weiß: „Ich bin“.
In
dieser Einheit werden sich die differenzierten und spezialisierten
geistigen
Fähigkeiten aller Menschen bündeln und eine neue geistige
Lebensform
hervorbringen: Ein neues „Ich bin“, welches das alte und
ursprüngliche „Ich
bin“ ist. Dies ist es wohl, was Teilhard de Chardin als den Punkt Omega
versteht - in dem Christus wiederkommt, der das Alpha und das Omega ist
- und
wie die Schöpfung somit ihren Abschluß findet. Ob dieser
Vorgang aber ein
zeitlicher Abschluß ist, darüber zögere ich zu
urteilen, weil es sich meinem
Denken entzieht. Ich gehe nur davon aus, daß Schöpfung nicht
nur Eingriff in
die Zeit, sondern auch Entstehung von Zeit ist – und daß der Kern
des Seins außerhalb
der Zeit ist, ein Bereich, in den wir Geistwesen eintauchen und unsere
geistige
Heimat finden: Wir alle, auch die Atheisten, sehnen uns doch, nach den
Worten
Friedrich Nietzsches, nach einer "tiefen, tiefen Ewigkeit".
So
mündet alles wohl in der Überwindung der Zeit.
Kardinal Christoph Schönborns Artikel über Neodarwinismus in der New York Times
Bernd
Lötschs Antwort auf den Kardinal