E Bader
Das Wort „Gott ist
tot“.
- Das Wort
„Gott ist tot“ provoziert und paralysiert. Die Frage nach Gott sollte
damit zum Schweigen gebracht werden, indem das Ziel des Gedankens
für tot erklärt wird: " 'Ich
erkenne dich wohl,', sprach er mit einer erzenen Stimme: 'du bist der
Mörder Gottes! Laß mich gehn. Du ertrugst
den nicht, der dich sah - der dich immer und durch und durch sah, du
häßlichster Mensch! Du nahmst Rache an diesem Zeugen!'
Also sprach Zarathustra und wollte davon." [Friedrich Nietzsche: Also
sprach Zarathustra, Nietzsche-W Bd. 2, S. 502]
- Das Wort
„Gott ist tot“ kann als eine soziologische Aussage verstanden werden.
Die sogenannte öffentliche Meinung, also die „herrschende“
Richtung der Philosophie als Sprecherin der Herrschenden der
Gesellschaft möchte
Gott für tot erklären. Diese
angemaßte Todeserklärung Gottes ruft aber eine negative
Folge für die Gesellschaft hervor: „»Wohin ist Gott?«
rief er, »ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet -
ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber ... Ist es nicht
kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht?“
[Nietzsche: Die fröhliche Wissenschaft, Nietzsche-W Bd. 2, S. 127]
- Tot kann
eigentlich nur ein Geschöpf, aber nicht der Schöpfer allen
Lebens sein. Die Griechen unterschieden schon zwischen den Sterblichen,
was ein Synonym für die Menschen war, und "den Unsterblichen", den
Göttern. Das Wort „Gott ist tot“ betrifft also nicht Gott selbst,
sondern nur die angemaßte Meinung der Menschen: „ ... man hat
nicht gemerkt, daß der Mensch den Gott getötet hat, um nun -
»alleiniger Gott in der Höhe« zu werden.“ [Max
Stirner: Der Einzige und sein Eigentum, S. 157]
- Die
Todeserklärung Gottes ist daher nur ein gesellschaftliches
Frageverbot nach Gott, ist ein Denkverbot bezüglich aller
Gedanken, die mit Gott zu tun haben. Nietzsche klagt allerdings auch
darüber, daß wir, die Menschheit, seit wir Gott, also unsere
Vorstellung von ihm, getötet haben, immer mehr ins Chaos versinken.
- Heidegger
sagt in "Nietzsches Wort ’Gott ist tot‘": "Das Wort ’Gott ist tot‘
bedeutet: die übersinnliche Welt ist ohne wirkliche Kraft. Sie
spendet kein Leben... ." [Martin Heidegger: Nietzsches
Wort ’Gott ist tot‘, S. ] Spendet aber Gott
wirklich kein Leben? Woher ist denn das Leben? Wenn jemand sagt, das
Leben sei aus der Materie entstanden, wie stellt er sich dies ernsthaft
vor? Die Aussage, Gott sei tot, ist also dieselbe wie, daß Gott
kein Leben spendet. Spendet Gott - angeblich - erst jetzt kein
Leben mehr oder spendete er nie Leben? Das Wort vom Tod setzt ja
voraus, daß es einen früheren Zustand des Lebens gegeben
haben muß, einem, in welchem Gott noch lebendig gewesen sein soll
und ergo auch Leben spendete. Aber spendet er wirklich heute kein Leben
mehr? Es ist wohl vielmehr so, daß ihm nur zugesprochen wird, er
sei
nun tot und spende daher auch kein Leben mehr. Die "Tötung" Gottes
scheint inhaltlich nichts anderes zu besagen als das
Leugnen seines Lebens. Wenn Gott wirklich Gott ist, dann ist er
freilich nicht sterblich, also kann er weder tot sein noch getötet
worden
sein. Er spendet also auch heute Leben, aber der Mensch nimmt es
offenbar entweder nicht an - oder er hat verlernt, die Entgegennahme
des Lebens
als etwas Bemerkenswertes zu erkennen und sich über die
unveränderliche Quelle des Lebens Gedanken zu machen.
- Unbestreitbar
gab es die Rede vom Tod Gottes bereits vor Nietzsche als Versuch
mancher frommer evangelischer Gruppen, die Kreuzigung Christi besonders
drastisch bewußt zu machen. Auf den Karfreitag folgt allerdings
der Ostersonntag. Vom
christlichen Glauben her wäre also auch zu fragen: Wie der Glaube
von der
Auferstehung Christi spricht, weil Gott nicht im Tod bleiben kann,
sollte wohl auch Hoffnung bestehen, daß die gesellschaftliche
Religion, selbst wenn sie in der Säkularisierung stirbt, ebenso
wenig im Tod verharrt. Vielleicht ist der Gedanke der Auferstehung erst
in unserer Zeit richtig verstehbar, weil unsere Zeit erst heute so
richtig das in gesellschaftlicher Einigkeit vollzogen hat, was
früher zur Zeit Jesu nur einige in der Elite bewußt oder
unbewußt
wollten: Nämlich Gott dadurch zu töten, daß sie den
töteten, der am deutlichsten und wahrsten von ihm sprach, weil
sie damit meinten, sich des Gottes entledigt zu haben. Heute
geschieht Ähnliches, indem die Sache
selbst einfach für erledigt erklärt wird.
- Heidegger
sagt auch, " ... der Gott entzieht sich unserem Denken." [Martin Heidegger: Was heißt
denken. S. ] Diese Aussage hilft
uns weiter, den Sinn dieses in sich widersprüchlichen Wortes „Gott
ist tot“ zu verstehen. Das bedeutet, daß wir deshalb kein Leben
von ihm empfangen, weil er sich unserem Denken entzieht. Aber er
entzieht sich dabei nicht von sich aus, sondern unser Denken ist nur so
verändert, daß es nicht mehr geeignet ist, sich auf Gott zu
beziehen. Weil Gott lebt, ist dessen Leben auch für seine
Geschöpfe bestimmt, welche ja von ihm das Leben haben.
- Einem Denken,
in welchem Gott tot ist, entzieht sich Gott. Ein Denken, das Gott nicht
anerkennen will, hat keinen echten Zugang mehr zur übersinnlichen
Welt und im unauslöschlichen Restbestand des Denkens an die
übersinnliche Welt findet er darin keine wirkliche Kraft. Jenem
Denken wird kein Leben zuteil, welches in sich die Erinnerung an Gott
zu töten strebt. Es bleibt nur noch die Resignation der Hoffnung
auf ein Leben. "Die übersinnliche Welt ist ohne wirkliche Kraft",
so heißt dann die letzte resignierte Feststellung. "Gott ist
tot".
- Eigentlich
ist das aber nicht der Abschluß des Gedankens,
sondern nur ein Hilfeschrei, an den keine Hoffnung mehr geheftet wird.
Es ist eine verzweifelte Frage nach Gott, auf die keine Antwort mehr
erwartet wird. Es ist aber wohl auch ein Schuldbekenntnis, worin der
Beginn der Klärung liegen kann. Die Lösung liegt im Begriff
des Nicht-Sterben-Könnens Gottes, welcher auch mit dem Wort
Auferstehung ausgedrückt wird. Was tot war, ist der Bezug zu Gott.
Aber von Gott her bleibt die Bereitschaft, Leben zu spenden, auch dann,
wenn sie nicht mehr erhofft wurde.
- Der Irrtum
des Denkens, der zur Ablehnung Gottes führte, ist die Verzweiflung
in der Frage nach Gott, die nicht in gleicher Weise behandelt werden
kann wie andere Fragen der Philosophie, weil sie von fundamentaler
Bedeutung für das Verständnis des Denkens selbst ist. Wenn
Gott existiert, dann als die Voraussetzung des Denkens wie des Lebens
schlechthin. Nur einem Denken, das sich nicht als voraussetzungslos
verstehen will, sondern seine eigenen Voraussetzungen intentionell
akzeptiert, erschließt sich Gott als die kraftspendende Quelle
des Lebens.