Bildung ist das wirksamste "Verhütungsmittel"

Weniger Babys. Österreich wird dennoch bis 2050 weiter wachsen: durch (geburtenstarke) Immigranten und steigende Lebenserwartung. Aber die Mittelschicht vernachlässigt die Familiengründung für den Aufstieg.

Lässt die Mittelschicht beim Kinderkriegen aus? Es gebe Indizien dafür, dass einerseits die sozial Schwachen, andererseits Reiche die meisten Kinder produzieren. Die mittleren Schichten hingegen seien zu beschäftigt damit, für ihren sozialen Aufstieg bzw. gegen den sozialen Abstieg zu kämpfen, sagt Richard Gisser im "Presse"-Gespräch. Der Forscher ist Vizedirektor im Institut für Demografie der österreichischen Akademie der Wissenschaften. Wobei das Problem hierzulande nicht wirklich ausreichend erforscht ist. "Da besteht Handlungsbedarf. Das Thema brennt uns unter den Nägeln", sagt auch Rudolf Schipfer vom Österreichischen Institut für Familienforschung

Aus der Statistik ganz klar ersichtlich ist der Zusammenhang zwischen Kinderzahl und Ausbildungsstand der Mutter. "Bildung und beruflicher Erfolg wirken wie ein Verhütungsmittel - bei Frauen, wie bei Männern", sagt ein Gutachten für die deutsche Regierung. Das ist in Österreich kaum anders: Während die über 40-jährigen Österreicherinnen mit Pflichtschulabschluss auf einen statistischen Durchschnitt von 2,34 Kindern kommen, haben Akademikerinnen nur 1,6 Kinder zur Welt gebracht. Knapp ein Viertel der höchstgebildeten Frauen über 40 ist überhaupt kinderlos.
 

Überdurchschnittlich viel Nachwuchs findet sich vor allem bei niedrigen Bildungsschichten (siehe Grafiken). Dazu zählen sehr häufig auch Immigranten. In Österreich lebende Türkinnen haben eine doppelt so hohe Geburtenrate wie Inländer.
 

Deshalb schrumpft in absehbarer Zeit zumindest Wien nicht. Schon jetzt haben rund 43 Prozent der Wiener Volksschüler nicht Deutsch als Muttersprache, in den Hauptschulen ist es mehr als jeder Zweite. Integrationsfragen - und deren Finanzierung - sind damit zum politischen Dauerbrenner geworden. Mit Bevölkerungsschwund rechnen müssen manche ländlichen Regionen - etwa Kärnten und die Steiermark, während Wien, Niederösterreich und Vorarlberg wachsen werden.
 

Fix ist: Österreich altert. 2050 wird nur mehr jeder Zweite im erwerbsfähigen Alter sein. Frauen haben derzeit eine Lebenserwartung von 82,1, Männer eine von 76,4 Jahren. Manche Wissenschafter begreifen das aber durchaus als Chance. Man müsse nur das Alter neu definieren und länger arbeiten, meint etwa Sozialexperte Bernd Marin - eine Debatte, die in Deutschland längst geführt wird.
 

Doch davon ist Österreich noch weit entfernt, und speziell vor den Herbstwahlen ist das ohnehin ein zu heißes Eisen. Die Regierung hat in die letzte Pensionsreform allerdings einen Automatismus eingebaut. Nach drei Jahren wird neu bewertet, ob weitere Maßnahmen, etwa ein späteres Pensionsantrittsalter, notwendig sein werden.
 

Hierzulande diskutiert man lieber darüber, ob das Kindergeld der richtige Anreiz für Elternschaft ist. Während 2004 die Zahl der Neugeborenen zum Jubel der Regierung stieg, ist sie 2005 wieder leicht gesunken. Die Opposition hält mehr Kinderbetreuungsangebote und Ganztagsschulen für die bessere Strategie, um die Geburtenzahlen zu erhöhen. Die liebe Familie - sie wird wohl auch Wahlkampfthema sein.

Fortsetzung der Serie am Dienstag

Presse 18.3.2006 http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=p&ressort=eu&id=546182