Die Erstbegegnung des Schülers mit der topographischen Karte 

bei der Analyse des Heimatgebietes

Reinhard Herzig

aus: Zeitschrift für den Erdkundeunterricht H. 9 1993 (gekürzt von Ch.Sitte für den Gebrauch im Fachdidaktik-PS an der Uni Wien

1. Plädoyer für die topographische Karte im Geographieunterricht

Amtliche topographische Karten ( TK - Anm. Ch.Sitte: ist in Österreich die ÖK 50 oder ÖK25V des Bundesamtes) der Landesvermessungsämter können unter bestimmten Voraussetzungen eine wesentliche Bereicherung des Geographieunterrichts darstellen, obwohl in den Rahmenplänen ihr Einsatz im Geographieunterricht/Erdkundeunterricht nicht explizit gefordert wird. Ein Plädoyer  f ü r  die Verwendung solcher Karten an den Schulen soll hier ausdrücklich ausgesprochen werden. An jeder Schule sollte ein Satz TK des Heimatgebietes, nach Möglichkeit in verschiedenen Maßstäben (mindestens 1:25 000 und 1:50 000), existieren. Folgende Gründe sprechen dafür:

 - Die TK bietet Vorteile, ist u.U. sogar unentbehrlich bei vielen geographischen Aufgabenstellungen, die sich auf das nähere Heimatgebiet beziehen. Keine andere Kartenart bildet so exakt und präzise topographisch erfaßbare Details des geographischen Raumes ab. Der Schüler kann auf ihr sogar sein Wohnhaus erkennen oder seinen Schulweg verfolgen (einen geeigneten Maßstab der TK vorausgesetzt). Das fördert Lernmotivationen beim Schüler, einerseits sich mit dieser Karte noch näher zu befassen, andererseits seinem Heimatgebiet weitere "Geheimnisse" abzulocken.

 - Die TK hat in vielen Anwenderbereichen Eingang gefunden. Mit Blick auf das spätere Berufs- und Privatleben des Schülers ist es von Vorteil, diese Kartenart zu verstehen. Gerade auch die aus der TK abgeleiteten Wanderkarten und Stadtpläne dürften wohl mit die häufigsten Beispiele für die Nutzung derartiger Karten in breiten Bevölkerungskreisen liefern. Auf die Verwendung von Wanderkarten (touristische Karten) im Geographieunterricht wies E. Breetz bereits 1976 hin. (Anmerkung 2)

 Hat der Schüler einmal das Grundprinzip der TK und Grundzüge ihrer Auswertung verstanden, so besteht eine gute Transferchance für die Nutzung vielfältiger Formen abgeleiteter Karten (z.B. Radfahrerkarten oder TK mit Wanderwegen).

 - Wenn man akzeptiert, daß das Unterrichtsfach Geographie in besonderem Maße für die Entwicklung des Kartenverständnisses prädestiniert ist, so kann die TK in diesem Zusammenhang eine entscheidende Position übernehmen, gerade auch deshalb, weil sie nicht unter didaktischen Aspekten bearbeitet wurde. Entgegen thematischer Lehrbuch- und Atlaskarten, die meist nur für einen bestimmten oder einige wenige Unterrichtszweck(e) und -inhalt(e) konzipiert werden, läßt die TK alle Möglichkeiten einer Niveauerhöhung schulkartographischer Auswerttechniken im Unterricht zu. Mit ein und derselben Karte des Heimatgebietes können in beliebigen Klassenstufen thematisch unterschiedliche Aufgabenstellungen auf differenziertem Anforderungsniveau an das Kartenlesen und die -interpretation bearbeitet werden. Der Schüler "erlebt" auf diese Art und Weise, daß veränderte Fragestellungen
an die Karte auch veränderte Auswerttechniken erfordern und veränderte Interpretationsergebnisse bedingen. Die Karte drängt nicht durch irgendein spezielles Thema und eng begrenzten Inhalt (thematische Karten) den Kartennutzer von vornherein in eine bestimmte Interpretationsrichtung. (Anmerkung 3)

- Wenn man weiterhin von der Zielvorstellung ausgeht, daß sich die Schüler in der Schule ein medienkritisches Verhalten aneignen sollen, so kann die amtliche TK des Heimatgebietes hierfür einen entscheidenden Beitrag leisten. Beim Vergleich topographische Karte - Wirklichkeit stößt der Schüler zwangsläufig auf "Fehler" in der Karte (Aktualitätsgründe u.a.), sowie auf Grenzen der Aussagekraft dieses Mediums (die für den Schüler ja im Heimatgebiet überprüfbar sind), so daß in jeder Phase der Kartenarbeit eine unmittelbare kritische Auseinandersetzung mit dem Medium möglich wird. (Anmerkung 4)

Diesen ausgewählten Einsatzvorteilen stehen aber auch Schwierigkeiten in der Schulpraxis gegenüber, die z.B. die Beschaffung, die Schulhaushaltsmittel (Anmerkung 5), im Rahmenplan nicht explizit ausgewiesene Anwendungsmöglichkeiten, den ungeübten Umgang mit der TK bei Schülern/Lehrern oder den Aufwand bei der Einführung bzw. im Anfangsstadium der Nutzung dieses Mediums betreffen.

Fragestellungen, die sich aus den Schwierigkeiten der Erstbegegnung und Nutzung in der Anfangsphase ergeben, sollen im folgenden nachgegangen werden. (Anmerkung 6)

.

 2. Probleme bei der Erstbegegnung des Schülers mit der TK

 Kein Lehrer wird wohl auf die Idee kommen, bei der Einführung in das Kartenverständnis in der Grundschule eine amtliche topographische Karte zu verwenden. Es ist davon auszugehen, daß bei der Erstbegegnung mit der TK mehr oder weniger Grundkenntnisse zu verschiedenen Kartendarstellungen und Gebrauch von Karten bereits beim Schüler vorhanden sind. Es ist weiterhin anzunehmen, daß die Schüler Skizzen der Schule, des Ortes oder Ortsteiles mit kartogr. Ausdrucksmitteln bereits gezeichnet und ausgewertet haben.

. . .

2.2 Wie könnte die Erstbegegnung stattfinden?

Die Methodik der Einführung der TK in den Geographieunterricht ist, wie bereits angedeutet, abhängig vom Zeitpunkt und damit vom bisher erreichten Niveau der Schüler. Zwei wesentliche methodische Aspekte sind davon jedoch unabhängig, die man in Kurzform als "nutzersituatives Herangehen" und "Auflösung der Zeichenkomplexität" bezeichnen kann.

Eine "systematische" Einführung in die TK in dem Sinne, daß über Ausstattung, Kartenzeichen, Maßstab etc. in breiter Ausführlichkeit und unabhängig von einer geographischen Aufgabenstellung gesprochen wird ist abzulehnen. Die Motivation, mit der Karte zu arbeiten, wäre sehr schnell im Formalismus erstickt bzw. würde gar nicht erst aufkommen. Geeigneter erscheint ein "nutzersituatives" Herangehen an die Karte. (Anmerkungen 7,8) Was ist darunter zu verstehen?

 Abgeleitet aus einer konkreten geographischen Fragestellung befaßt sich der Schüler mit der Lösung einer Aufgabe, zu deren Beantwortung er eine TK benötigt. Parallel zu der Aufgabenbearbeitung dringt er in die Darstellungsweise der Karte ein. Dabei gilt es, ein sehr enges Wechselverhältnis von Wirklichkeitsbeobachtung und Kartenlesen herzustellen.

 Zunächst eignen sich nur solche Fragestellungen/Aufgaben, die auf das physiognomisch wahrnehmbare beschränkt sind, denn nur das bildet die topographische Karte vorrangig ab. Wechselbeziehungen zwischen der äußeren Form, der Anordnung der dargestellten Objekte im Raum (räumliche Struktur) und daraus direkt ableitbarer Aussagen stehen im Vordergrund. Erst in einer zweiten, späteren Stufe, können Interpretationen (z.B. funktionale Bezüge zwischen den Objekten) durchgeführt werden, die die Einbeziehung von über die Kartenaussagen hinausgehenden Informationen erfordern und deshalb bedeutend schwieriger und meist nicht eindeutig sind.

 Neben dem skizzierten nutzersituativen Herangehen sollte die Auflösung der Zeichenkomplexität der Karte beachtet werden. Die amtliche topographische Karte ist so informationsreich, daß der ungeübte Kartennutzer von der Fülle der Kartenzeichen irritiert wird. Bereits der in den Karten oder in einer Sammellegende abgedruckte Legendenauszug (!) der Maßstabreihe 1:25 000 erklärt ca. 200 Bedeutungen für eingetragene Kartenzeichen. Davon werden für eine spezielle Aufgabenstellung nur sehr wenige benötigt, viele Zeichen sind in dem Moment überflüssig, d.h. sie erfahren erst durch die Ziel- und Aufgabenstellung der beabsichtigten geographischen Analyse eine Wichtung in ihrer Bedeutsamkeit.

zurück nach oben

 Wie ist dieser Kartenkomplexität zu entgehen? Grundsätze sollten sein:

- Selektion der Informationen entsprechend der Aufgabenstellung und nach Möglichkeit Übertragung in ein anderes Medium, z.B. Kartenskizze, Profil oder Tabelle (Anlegen eines "äußeren Gedächtnisses"); 

- Arbeit im anderen Medium zur Lösung der Aufgabe (herausgelöste Informationen werden nicht mehr im komplexen Zusammenhang der karte, sondern im speziellen Teilmedium betrachtet);

- Rückkopplung zur TK (Schüler sieht jetzt wesentliche, trennt sie gedächtnismäßig von den weniger bedeutsamen Zeichen).

 . . .

a) Standortbestimmung/Identifizierung von Objekten

Bei jedem Vergleich Karte - Wirklichkeit ist die Frage zu beantworten "Wo befinde ich mich jetzt?". Dabei ist empfehlenswert, sich zunächst an solche Orte zu begeben, die sich durch auffällige Objekte leicht identifizieren lassen. Hierfür eignen sich vor allem punkthafte Objekte (Türme, Schornsteine, Gasbehälter, Einzelhäuser ...), aber auch gut auszumachende Kreuzungen linienhafter Objekte (Bahnübergänge, Straßenkreuzungen mit in Wirklichkeit und auf der Karte angegebenen Straßennamen). Ungeeignet für die Erstbegegnung sind Standortbestimmungen in relativ homogenen Objekten/Objektgruppierungen, wie beispielsweise mitten auf einem größeren Feld oder eine Wegkreuzung mitten im Wald.

Um entscheiden zu können, wo man sich gerade im Gelände aufhält, ist es notwendig, die Karte richtig zu orientieren. Das muß nicht unbedingt mit dem Kompaß, sondern kann nach Identifizierung von einigen wenigen Objekten aus deren Lagerelation und dem Standort des Beobachters heraus durch Drehung der Karte bis zur ungefähren Übereinstimmung der Wirklichkeitssituation mit der Kartensituation geschehen.

Mit der Standortbestimmung hängt sehr eng die Frage zusammen, was sehe ich von den in der Karte angegebenen Objekten und wie sehe ich sie. Wahrnehmungsphysiologische und -psychologische Probleme seitens des Kartennutzers (hier: Schüler) und vor allem Maßstabs- und Generalisierungsfragen seitens der Kartendarstellungsweise spielen dabei eine Rolle.

Der Kartennutzer nimmt seine Umwelt perspektivisch (in horizontaler Zentralprojektion) wahr, die Karte hingegen bildet die Erdoberfläche in vertikaler Parallelprojektion ab. (Anmerkung 9)

Seitens der Kartendarstellung sind die Objekte oft nicht so zu sehen, wie ihr naturgegebener Grundriß eigentlich sein müßte.  Maßstabsbedingte Vereinfachung der Formen, auch Zusammenfassungen von Objekten sowie symbolhafte Darstellungen lassen die Realität oft ganz anders erscheinen, als sie im Kartenbild dargestellt ist.

Eine Möglichkeit zur Überwindung dieser Diskrepanz besteht darin, den entsprechend betrachteten Kartenausschnitt in Sektoren einzuteilen (z.B. mit Abdeckmasken - siehe Abb. 1) und vom Standpunkt des Betrachters aus die Objekte in Natur und Karte zu vergleichen. {Kreissektor-Innenschablone; wobei der Scheitelpunkt auf den Standort des Betrachters gelegt und der Kreisbogen in Blickrichtung gedreht wird.}

Eine für die Praxis entscheidende Frage (z.B. beim Gebrauch von Wanderkarten) ist, wie weit man sehen kann (ohne Beachtung der tatsächlichen witterungsbedingten Sichtverhältnisse) bzw. welche in der Karte ausmachbaren Objekte vom Standpunkt des Beobachters aus tatsächlich sichtbar sind und welche nicht. Der Schüler muß dazu die Objekte in der Wirklichkeit und auf der Karte mit ihren Lagerelationen und Entfernungen zueinander erfassen. Dabei bemerkt er beispielsweise, daß in der Karte gut sichtbare Objekte in dem Kreissektor (Innenschablone) zwar gut erkennbar sind, aber in Wirklichkeit durch davorliegende Objekte verdeckt werden (z.B. Waldstreifen, Bäume, Hecke, Berg, Häuserfront ...) [Siehe Abb. 1]. Auch hier ergibt sich für den Schüler ein einleuchtendes Motiv, Karten zu verwenden.

          Abbildung 1: Kreissektor-Innenschablone 

Für die Standortbestimmung und Identifizierung von Objekten sind die Entfernung der Objekte untereinander bedeutsam. Im Gelände meist nur abschätzbar, können sie mittels topographischer Karte exakt bestimmt werden. Fragen, wie "Wie weit ist das Objekt von uns entfernt?", "Ist das Objekt 1 oder das Objekt 2 weiter von uns entfernt?", "Welche Entfernung muß ich zurücklegen, um über den Weg X zu dem Objekt Y zu gelangen?" werden beantwortet. Einschlägige Methoden sind dem Schüler aus der Einführung in das Kartenverständnis bekannt, wie Messen mit dem Lineal, mittels Papierstreifen oder Faden (auch von Zusammensetzungen geknickter Teilstrecken).

Entsprechend o.g. methodischer Empfehlung können die wenigen auffälligen zu identifizierenden Objekte in richtiger Lage- und Entfernungsrelation in einer Kartenskizze festgehalten werden. Danach wird wieder in die Karte zurückgekehrt. Das ist gleichzeitig eine Vorschulung, um später auch ohne Hilfsmittel in einer komplexen Karte wichtige von unwichtigen Objekten trennen zu können.

Zu den schwierig zu identifizierenden Objekten gehören Reliefelemente. "Wie erkenne ich ein Tal, eien Berg, einen Steilabfall, eine Ebene" usw. sind wichtige Grundfragen zur Beschreibung der Oberflächenformen aus der Karte heraus. Für den ungeübten Kartennutzer ist es nicht ohne weiteres möglich, aus dem Verlauf der Höhenlinien auf die Geländeformen zu schließen, zumal erschwerend hinzukommt, daß in der TK in informationsreichen Gebieten bzw. farbig dargestellten Objekten und Flächen die Höhenlinien oft nicht erkannt werden bzw. in ihrer Zusammenschau nicht deutlich gesehen werden können. 3 methodische Ansätze können die Reliefinterpretation erleichtern:

1. Dichte der Höhenlinien mit der Neigung des Geländes direkt vergleichen: je dichter die Linien auf der Karte desdo steiler das Gelände;

2. Verlauf linienhafter Objekte in Relation zu Höhenlinien (parallel, schräg schneidend oder senkrecht) auf der Karte in der Praxis überprüfen (z.B. auf einem Weg): parallel = horizontal; nicht parallel = geneigt;

3. Zählrichtung der absoluten Höhenangaben der Isohypsen auf der Karte zur Bewegungsrichtung in der Wirklichkeit  in Relation setzen: geht es bergauf oder bergab?

Geländebegehungen bei der Erstbegegnung mit der TK sind zwar notwendig, aber keine Garantie für das sofortige Verstehen. Bei Erhöhung der Schwierigkeit, z.B. Geländebestimmung eines unbekannten Gebietes aus der Karte (Vorbereitung einer Wanderung in ein fremdes Gebiet) wird man das deutlich merken. Die Isohypsen sind nun mal in der Landschaft nicht sichtbar und von der Abstraktion her bedeutend weiter von der Wirklichkeit entfernt als andere Signaturen der topographischen Karte. 

b) Rückschau (Wirklichkeit erlebt ----> Nachvollzug auf der Karte)

Fragestellungen, wie "Wo sind wir jetzt auf der Karte, welchen Weg sind wir gelaufen, was haben wir für unsere Aufgabenstellung bedeutsames gesehen?" zielen darauf ab, im Nachhinein die gesehene Wirklichkeit mit der Karte zu vergleichen. Dabei ist während der Wanderung in den Köpfen der Schüler eine gedächtnismäßige räumlich geordnete Aufzeichnung der gesehenen Landschaft erfolgt, d.h. eine geistig gespeicherte Karte (mental map) entstanden. Sie wird sich aber wesentlich von der TK unterscheiden. Sie wird vor allen Dingen bildhaft sein, während die TK abstrakt ist. Neben dem unter a) dargelegten kommt hier die Komponente einer Bewegung des Betrachters hinzu. Aus jedem veränderten Blickwinkel wird die Wirklichkeit anders erlebt, in der Karte ändert sich die Sicht nicht, die Zeichen werden immer in derselben Relation gesehen. Richtungs- zusammen mit Distanzorientierungen treten hier in Kombination miteinander auf. Dabei kommt es sehr häufig zu Verwechslungen, wie links oder rechts beim Vergleich Wirklichkeit-Karte. Diese Verwechslungen beruhen einerseits auf einer psychologisch bedingten generellen Orientierungsverwechslung zum anderen darauf, daß der Kartenbetrachter immer auf der TK von Süd in Richtung Nord schaut, in der Natur hingegen in beliebige Richtungen sieht. Die Drehung der Karte ist vor allem durch die feststehende Schrift und die orientierten Aufsichtssymbole nicht problematisch und sollte auch gar nicht erst angestrebt werden. Ziel soll es vielmehr sein, eine Karte in richtiger Lage (also nicht in Seitenlage oder auf dem Kopf) bei Richtungsänderungen zu belassen [das das einfacher gefordert als getan ist, zeigt sich beispielsweise daran, daß manche Auto-Beifahrer sich verrenken bzw. die Karte drehen, um sie in die Richtung zu bringen, in der die Straße liegt, auf der das Auto gerade fährt].

c) Vorschau (Kartenanalyse ----> Vorhersage der erwarteten Wirklichkeit)

Diese Variante geht von der entgegengesetzten Situation wie b) aus. Es erfolgt zuerst eine Kartenanalyse, die Interpretation wird in der Wirklichkeit überprüft. Das empfiehlt sich für die Erstbegegnung mit der TK nur, falls sie erst in höheren Klassenstufen stattfindet, oder wenn a) und/oder b) vorausgegangen sind und sich c) unmittelbar in die Aufgabenstellung der Erstbegegnung einordnet.

Einfachste Fragestellungen hierzu sind: "Was kommt als nächstes auf unserem Weg?" bzw. "Wohin führen diese Wege?"

O.g. Ausführungen zu Sichtbarkeit von Objekten, Identifizierung von Objekten auf der Karte, Generalisierungsfragen u.a. kommen jetzt zur Anwendung. 

d) Planen mit der Karte (allmähliche Lösung von der unmittelbaren Begegnung)

Diese Methode der Erstbegegnung kann nur dann verwendet werden, wenn der Schüler bereits ausreichende Erfahrungen mit ähnlichen Kartenanalysen, bei denen die Wirklichkeit nicht parallel zur Karte betrachtet wird, hat.

Hierbei kommt es darauf an, nicht nur wie bei c) Fragestellungen hinterher an der Wirklichkeit zu prüfen, sondern Fragestellungen mittels Karte (ohne Konsultation der Wirklichkeit) zu lösen oder/und Fragestellungen aus der Karte abzuleiten und diese zu beantworten. Ob diese Lösung praxisrelevant ist, kann dann mittels TK in der Praxis durch Geländebegehung überprüft werden. Dabei erfolgen Reflexionen auf den Lösungsweg und auf Probleme der Kartendarstellung und -interpretation vor allem auch dann, wenn sich die Lösung als in der Praxis nicht brauchbar erweisen sollte. Dieses Vorgehen birgt besondere Erziehungspotenzen und sollte nicht als "Fehler" abgetan werden, sondern gerade die Begründung, warum die Lösung nicht richtig war, läßt alle Möglichkeiten der Kritik, angefangen von der (evtl. vom Schüler selbst gestellten) Aufgabe über den methodischen Weg der Lösung bis hin zur Medienkritik der TK offen. 

Im Direktvergleich Karte - Wirklichkeit setzt auch bereits die Erziehung des Schülers zur Medienkritik an. Das betrifft einmal die Kartendarstellung allgemein, zum anderen die spezielle TK, mit der gerade gearbeitet wird. Medienkritik kann man beim Schüler leicht provozieren, wenn Einzelobjekte der Wirklichkeit mit den Entsprechungen in der Karte verglichen werden. Neben der Frage der Generalisierung (Weglassen und Formverändern und -zusammenfassen) stößt man hier auf die Frage der Aktualität des Karteninhalts.  

Durch den Übergang von der Wirklichkeit zur Karte begreift der Schüler einmal die Informationsverluste (visuelle Verluste, z.B. alles im Aufriß sichtbare / Verlust an Unmittelbarkeit), aber auch den Informationsgewinn durch gleichzeitige Überschaubarkeit großer Flächen sowie durch für bestimmte Fragestellungen gleichzeitig überschaubarer relevanter Objekte/Objektgruppen. Messungen, Berechnungen (z.B. von Verteilungen u. Intensitäten [Konzentration, Dispersion]) und somit auch Vergleiche u.v.a.m. lassen sich gut mit der Karte durchführen, was im Originalgelände nicht nur zeitraubend, sondern oft auch unmöglich wäre. (Z.B. Fragen, wie "Wo gibt es noch solche Objekte/Situationen?", "Wie häufig tritt ... auf?")

zurück nach oben

3. Beispiele für erste Begegnungen mit der TK und einfache Interpretationsübungen

Als Beispiel wird die Karte "N-33-123-C-c Potsdam" (Topographische Karte - Ausgabe AS im Maßstab 1:25 000) gewählt. (Anmerkung 10)

3.1. Wir erkunden die Umgebung des Tiefen Sees

(Siehe auch Abb. A auf der 3. Umschlagseite)

Nutzersituation: Nutzer steht im Gelände und bemerkt auffällige Objekte, vergewissert sich in der Karte, um welche Objekte es sich handelt.

Standort: Uferzone des Tiefen Sees im Babelsberger Park.

Die Schüler bestimmen den eigenen Standort. Sie schauen auf die andere Uferseite und vergleichen mit dem Kartenbild, legen eine Kreissektoren-Innenschablone an. Sie bestimmen Entfernungen, ermitteln, was zu sehen ist und was nicht (verdeckte Objekte; in welcher Richtung liegen sie, wie weit sind sie entfernt?)

3.2. Wir unternehmen eine Wanderung/Exkursion vom Bahnhof Rehbrücke zum Großen Ravensberg

(Vgl. auch Abb. B auf der 3. Umschlagseite)

Nutzersituation: Nutzer wandert mit einer Karte, hat ein bestimmtes Ziel, das er erreichen möchte und will Informationen mit Hilfe der Karte sammeln. 

Wanderung über Caputher Heuweg ----> Schlangenfenn ----> Teufelssee ----> Großer Ravensberg ----> Moosfenn  (Anmerkung 11)

Die Schüler lösen folgende Aufgaben:

- Standortbestimmung am Ende des Caputher Heuwegs, wo er in den Wald eintritt,

- Weggabelung im Wald. Links oder rechts gehen?,

- Wegskizze mit auffälligen Objekten zeichnen (Zeichen wie in der Karte verwenden),

- Höhenverhältnisse bestimmen

 * in welcher Höhe liegen die Objekte?

 * gehe ich bergauf oder bergab? Woran sehe ich das in der Karte?

 * wie erkenne ich einen Berg auf der Karte? (dichte Scharung der  Höhenlinien um einen Höhenpunkt - relativ steiler Berg)

 * wir zeichnen eine Profilskizze mit der Höhenlage der erwanderten Objekte. [Siehe Abbildung 2]

 

     Abbildung 2: Profilskizze

 

- wir verfolgen im Nachhinein unseren Wanderweg und beschreiben mit Hilfe der Karte die wichtigsten Standorte der Exkursion. 

3.3.Wir vergleichen Siedlungsteile miteinander/erforschen Stadtstrukturen

(Vgl. hierzu Abb. A und B auf der 3. Umschlagseite)

Nutzersituation: Nutzer will aus einer Karte Informationen zur Weiterverarbeitung entnehmen (z.B. Landschaftsteile vergleichen, günstige Wohngegenden ausfindig machen, die Innenstadt aufsuchen [Einkauf, Sehenswürdigkeiten])

Vergleichen der Innenstadt Potsdam/Brandenburger Vorstadt/Waldstadt/ Siedlung Eigenheim/Industriegelände Rehbrücke. Grundrißunterschiede, Anordnung der Häuser in der Karte erkennen. Vergleich mit der Wirklichkeit, Bebauung (auch funktional) erfassen. Rückschlüsse auf Bevölkerungszahl in den Stadtgebieten ziehen. 

Beim Vergleich Karte-Wirklichkeit Aktualisierung der Karte vornehmen, Veränderungen und ihre Ursachen erkennen (Straßennamen, Nutzung von Gebäuden, Neubauten, Abriß).

Diskussion der Ergebnisse einschließlich Kritik der topographischen Karte.

Grundrisse der Stadtteile (aus der Komplexität herauslösen)

vereinfacht zeichnen, ihre Struktur in Stichworten beschreiben. [Vgl. Abb. 3)

           

     Abbildung 3: Skizzen zur Struktur von Stadtteilen

 3.4. Wir planen mit der TK Veränderungen in unserer Stadt

 Nutzersituation: Der Kartennutzer nimmt Verantwortung wahr und hilft der Stadt, Radwege von einem Stadtteil zu beliebten Ausflugsgegenden der Umgebung zu finden. (Projekt)

 Aufsuchen des Stadtteils, Aufsuchen von beliebten Ausflugszielen auf der TK oder der Nachbar-TK. Ortsbegehung, Vergleich mit der Karte, Eintrag der vorhandenen Radwege im innerstädtischen Bereich, Eintrag gefahrloser Wege/Straßen, die außerhalb der Stadt von Radfahrern genutzt werden können.

 Vergleich der Ist-Situation und der Wunschvorstellung. Wunschvorstellung präzisieren, in die Karte eintragen.

 Vorhandensein bzw. Wunsch von Veränderungen mit unterschiedlichen Farben in der TK festhalten (besser: auf eine transparente Überdeckfolie gezeichnet).

 Um sich in einer Diskussion mit Stadtplanern verständlich machen zu können, wird erneut die topographische Karte oder einer aus ihr entstandenen Kartenskizze verwendet.

 . . .

zurück nach oben

Anmerkungen

 1 Siehe auch Herzig,R.: Zur Verwendung amtlicher topographischer Karten im Geographieunterricht. ZfE 1/1992, S. 6-10.

 2  Siehe Breetz,E.: Verwendung von Kreiskarten und touristischen Karten für den Geographieunterricht. ZfE 4/1976, S. 170-177.

 3 W. Sperling und E. Breetz sprechen von einer kartographischen Didaktik bzw. von Niveaustufung in den Verfahrensweisen der Kartennutzung. A. Hüttermann fordert in diesem Zusammenhang eine Progression (im Sinne von Niveausteigerung) der Kartennutzung, besonders nach der Einführung in das Kartenverständnis. Dem kann uneingeschränkt zugestimmt werden. Am Beispiel der topographischen Karte könnte eine solche Progression, die die Lese- und Interpretationstechnik betrifft aufgezeigt werden, was aber im Rahmen dieses Artikels nicht beabsichtigt, aber an anderer Stelle angedeutet wird.

Breetz, E.: Verfahrensweisen der Kartennutzung im Schulunterricht. In: Vermessungstechnik, 31, S.48-50.

Sperling, W.: Kartographische Didaktik und Kommunikation. Kartographische Nachrichten, 32, S. 5-15.

Hüttermann, A.: Kartographie und Schule - Auf dem Wege zu einer Didaktik der Schulkartographie. In: Schulkartographie - Wiener Symposium 1990. Wiener Schriften zur Geographie und Kartographie, Institut für Geographie der Universität Wien 1992, S.277-289.  

 4 Zu Fragen der Medienerziehung vgl. Engelhard, K.: Medienerziehung. In: Brucker, A. (Hrsg.): Medien im Geographieunterricht. Pädagogischer Verlag Schwann-Bagel, Düsseldorf 1986, S.476-487.

 5  Topographische Karten können über die Landesvermessungsämter bezogen werden. Es empfiehlt sich, dort das Angebot (bes. aktualisierte Blätter) sowie die Preise zu erfragen. Die Adressen der Landesvermessungsämter finden sich auf der Rückseite des in Anmerkung 8 genannten Faltblatts. 

 6 Im Zusammenhang mit der Zielstellung dieses Artikels ist auch ZfE 1/1992 zu beachten (siehe Anmerkung 1).

 7  Vgl. hierzu auch Hüttermann, A.: Die topographische Karte im Alltag: Wie können Hilfen für den Nutzer aussehen? Kartographische Nachrichten 3/1992, S. 94-99.

 8  Ein nutzersituatives Herangehen an die TK dokumentiert das Faltblatt "Tipps zum Kartenlesen", das durch den Arbeitskreis Kartennutzung der Deutschen Gesellschaft für Kartographie erarbeitet wurde und dem ungeübten Nutzer den Gebrauch topographischer Karten erleichtern will. Das Faltblatt ist auch für die Schule geeignet und wurde in der ZfE 1/1992 vorgestellt und beigelegt. Es kann kostenlos (gegen 4,00 DM Briefmarken für Versand) in Klassensatzstärke (30 Exemplare) angefordert werden bei: Prof. A. Hüttermann, Schubartstraße 28, W-7142 Marbach a.N.

Siehe auch Herzig, R.: "Tips zum Kartenlesen" - ein Faltblatt zur Nutzung topographischer Karten. ZfE 1/1992, S. 38.

9  Es gibt kartenverwandte Darstellungen, die sich dem menschlichen Sehen teilweise annähern, wie etwa die dreidimensionale Reliefkarte oder die sog. "Vogelschaubildkarte". Sie stehen aber i.a. in vergleichbaren Ausschnitten und Maßstäben zur entsprechenden TK nicht zur Verfügung.

10  In den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland gibt es derzeit drei Ausgabeformen topographischer Karten. Ausgabe AS (Ausgabe für den Staat) und die Ausgabe AV (Ausgabe für die Volkswirtschaft). Beide beruhen auf dem in der DDR üblichen Duktus topographischer Karten, existieren flächendeckend für die neuen Länder und stehen hinsichtlich Genauigkeit und Inhalt auf hoher Qualität und den topographischen Karten der alten Länder der Bundesrepublik nicht nach. Diese AS- und AV-Ausgaben werden schrittweise aktualisiert, dem Duktus der topographischen Karten der alten Länder angepaßt und als "Topographische Karte - Normalausgabe" zusammengefaßt. Bisher gibt es aber nur einzelne wenige Blätter dieser überarbeiteten Karten.

Jedes Land der Bundesrepublik hat ein topographisches Grundkartenwerk innerhalb der Maßstäbe 1:2 500 (württembergischer Landesteil von Baden-Württemberg) bis 1:10 000 (neue Länder). Dieses Grund-kartenwerk bildet die Grundlage für die Herausgabe der topographischen Landeskartenwerke in den Maßstäben 1:25 000, 1:50 000 und 1:100 000). Außerdem werden topographische Übersichtskarten in den Maßstäben 1:200 000, 1:500 000 sowie 1:1 000 000 herausgegeben. 

11  Zu dieser Exkursion vgl. auch Weiße, R.(unter Mitarbeit von Breetz, E.): Die eiszeitliche Landschaft um Potsdam - Exkursionsvorschläge zum Kennenlernen ihrer Entstehung sowie von Nutzungsrisiken und ökologischen Problemen. Pädagogisches Zentrum Berlin 1990.

zurück nach oben

Anm.: Ch.S.: wir danken Kollegen Dr. Herzig  für die Erlaubnis der virtuellen Nutzung

<<< retour zur Fachdidaktikseite am Institut für Geographie der Universität Wien