Jeden
Donnerstag, bei Einbruch der Dunkelheit versammelt sich an einer Ecke
des Wiener Heldenplatzes ein Dutzend Unverdrossener. Stets wird dann
eine Tafel mit der Aufschrift „Gegen eine Regierung mit Rassisten und
Naziverharmlosern“ an eine Parkbank gelehnt und ein Redner informiert
das Häuflein, überflüssigerweise per Megafon, über die jüngsten Untaten
der schwarz-blauen Allianz.
Es ist der Rest der Donnerstags-Demo; das Überbleibsel der Avantgarde
der „Zivilgesellschaft“, die dereinst allwöchentlich gegen die Regierung
aufmarschierte.
Dieser Protest spielt heute keine Rolle mehr.
Nachtschichtler, Mindestrentner, Bauarbeiter, Voestler und Eisenbahner
sind die großen Widersacher des Kabinetts Schüssel II. Sie hopsen nicht
wie die Donnerstags-Demonstranten durch das nächtliche Wien, sondern
legen mit Streiks ganz Österreich lahm.
Bundeskanzler Wolfgang Schüssel analysiert die Lage in kleinem Kreis
sinngemäß meist so: In der globalisierten Welt gerieten die europäischen
Wohlfahrtsstaaten in zunehmend ausweglose Konkurrenzsituationen. China
etwa sei schon in absehbarer Zeit in der Lage, alle Güter herzustellen,
die der klassischen Produktpalette europäischer Industrien entsprechen –
und das zu einem Bruchteil ihrer Lohnkosten.
Mit den EU-Beitrittsländern trete zusätzliche Konkurrenz auf den Plan,
weil in vielen dieser Staaten die Sozialstandards unvergleichlich
niedriger seien als etwa in Österreich. Vor allem Tschechien, meint der
Kanzler, könnte wieder zu einem leistungsfähigen Industriestaat in der
Mitte Europas werden – und damit zu gefährlicher Konkurrenz auf für
Österreich existenziell wichtigen Feldern.
Natürlich wolle man die Löhne nicht auf chinesisches und die
Sozialleistungen nicht auf osteuropäisches Niveau senken, versichert
Schüssel.
Aber eine Regierung, die ihre Aufgabe ernst nehme, müsse reagieren. Wir
könnten uns daher in Zukunft viele Annehmlichkeiten – Frühpension und
Pragmatisierung, Biennalsprung, Gratis-Studium und Gratis-Medizin –
einfach nicht mehr leisten.
Der Speck muss weg.
An der Beseitigung desselben arbeitet Schüssels Regierung nun mit
Nachdruck und schneidet nach Ansicht der Gewerkschaften bei vielen
Österreichern tief ins Fleisch.
Der ÖGB verteidigt allerdings auch Vergünstigungen, die selbst dann
entsorgt gehörten, gäbe es den Globalisierungsdruck nicht.
Es ist einfach unhaltbar, dass alle ÖBB-Angestellten jene Bonifikationen
genießen, die für die strapazierten Außendienstler geschaffen wurden –
heute nur noch ein Viertel des Personals.
Es ist logisch, dass ein Verschubarbeiter mehr Krankenstandstage
konsumiert als der Durchschnitt der Arbeitnehmer; warum ÖBB-Bürohengste
auch so krankheitsanfällig sind, ist nicht zu verstehen.
Es war völlig ungerechtfertigt, dass das durchschnittliche Pensionsalter
der Wiener Gemeindebediensteten bis vor nicht allzu langer Zeit bei
knapp 52 Jahren lag. Und warum Lehrer unkündbar sein müssen, ist nicht
wirklich zu erklären.
So sinnvoll also die Beseitigung mancher Wucherungen ist, so ärgerlich
ist die Unsensibilität, mit der die Regierung zum Kahlschlag ausholt.
Schon die Kampfparole, bei den Kritikern der Reformen handle es sich
durchwegs um „Besitzstandwahrer“, zeugt von Gefühllosigkeit.
Der „Besitzstand“ vieler dieser Menschen, die künftig mit weniger
Pension auskommen müssen, besteht in einer Mietwohnung, die kleiner ist
als das Badezimmer mancher Regierungsmitglieder. Einige der vom
Bundeskanzler gerügten „Besitzstandwahrer“ können es sich einfach nicht
vorstellen, bis 65 am Baugerüst zu stehen, wenn das Kreuz schon mit 50
oft höllisch wehtut. Und selbst der elementarste „Besitzstand“, der
Arbeitsplatz, ist keine Selbstverständlichkeit mehr, seit sich die
Regierung de facto für „Beschäftigungspolitik“ unzuständig erklärt hat.
Diese Koalition, in der so viele reiche Männer sitzen, erkennt nicht,
dass sie Menschen Verzicht abfordert, die in ihrem Leben schon auf
vieles verzichten mussten.
Deren Bereitschaft zur Einsicht in das angeblich Notwendige wird nicht
steigen, solange die Politik an sich selbst so großzügig Maßstab anlegt:
wenn die Außenministerin 353.000
Euro allein für das Mitführen eines Hoffotografen ausgibt;
wenn der Finanzminister fette Spenden
von Industriellen einsteckt, ohne sie zu versteuern, und stupende
Beträge aus Steuermitteln der eigenen Imagepflege widmet;
wenn dieser Jungstar Aktien im Wert von
15 Jahres-Durchschnittspensionen als Bagatelle abtut, die nicht
meldepflichtig sei;
wenn sich im ÖIAG-Aufsichtsrat ein
Freunderlkreis schamlos am öffentlichen Eigentum zu bedienen versucht –
warum sollte sich dann ein Langzeitarbeitsloser demütig mit seiner Rolle
als Beitrag zur Standortsicherung abfinden?
Nur um nicht ein „Besitzstandwahrer“ genannt zu werden?
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