Machtprobe zwischen Regierung und ÖGB endete mit einem Unentschieden.
Wandelte Wolfgang Schüssel auf
den Spuren Margaret Thatchers?
In der Zentrale der Eisenbahner-Gewerkschaft in
Wien-Margareten herrschte am vergangenen Freitag nach drei Streiktagen eine
Mischung aus Erschöpfung, Nervosität und Widerstandsgeist. Der am Vorabend schon
greifbare Kompromiss – die Züge würden wieder fahren, wenn in das Dienstrecht
der ÖBB-Bediensteten nicht per Gesetz eingegriffen würde – stand plötzlich nicht
mehr auf Schienen.
ÖGB-Funktionäre nannten hinter vorgehaltener Hand den ihrer Meinung nach
Schuldigen: Bundeskanzler Wolfgang Schüssel habe einen Deal zwischen
Verkehrsminister Hubert Gorbach und Eisenbahner-Gewerkschaftschef Wilhelm
Haberzettl bei einem nächtlichen Treffen mit ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch im
Parlament abgelehnt. Die ÖBB-Reform würde – so die Weisung vom Ballhausplatz –
durchgezogen, und zwar schon Anfang Dezember im Nationalrat.
Nach stundenlangen Verhandlungen am Freitagnachmittag im
Infrastrukturministerium wurde der seit Jahrzehnten folgenschwerste und teuerste
Streik in Österreich knapp vor 18 Uhr dann doch beendet. ÖGB-Chef Fritz
Verzetnisch und Eisenbahner-Chef Haberzettl einigten sich mit Gorbach und seinem
Staatssekretär Helmut Kukacka. Die Eisenbahner erreichten das, was Gorbach zuvor
mehrfach abgelehnt hatte: Das neue Dienstrecht soll bis Ende April 2004
kollektivvertraglich von den Sozialpartnern geregelt und erst bei Nichteinigung
per Gesetz vorgeschrieben werden. Die Regierung wollte mit der Reform viele
Sonderregelungen für Eisenbahner wie Frühpensionierungen kappen und auch die
Befugnisse der Personalvertreter beschneiden
Nachverhandlung. Schüssel, der die Einigung als Erster in Salzburg verkündete,
wurde von Verzetnitsch heftig kritisiert. „Die die Flamme vorzeitig in die Höhe
gehalten haben, haben dazu beigetragen, dass das Ganze fast noch einmal geplatzt
wäre“, giftete sich der ÖGB-Chef über das Vorpreschen des Kanzlers.
Dieser hatte widerwillig „Nachverhandlungen“ zum Dienstrecht zwischen Vorstand
und Gewerkschaft der ÖBB zugestimmt. Die Strukturreform der ÖBB würde aber wie
geplant vom Parlament beschlossen werden, so der Kanzler. Aber auch hier wollen
die Eisenbahner einige Eckpunkte entschärfen: Sie drängen darauf, dass die ÖBB
statt in neun in nur drei Teilkonzerne aufgeteilt werden. Vor allem die
zweigeteilte Infrastrukturfirma mit der Ausgliederung von 5000 ÖBB-Bediensteten
wurde scharf kritisiert. Statt eigene Bautrupps einzusetzen, müssten Aufträge
künftig EU-weit ausgeschrieben werden.
Am Freitagabend rollten die ersten Züge wieder nach einem logistischen
Großeinsatz, da Lokomotiven, Waggons und Personal nach drei Tagen wieder
mühevoll zusammengeführt werden mussten. Ein längerer Streik hätte nicht nur für
Pendler, sondern vor allem für Österreichs Unternehmen ernsthafte Probleme
bedeutet. Außerdem sanken in der Bevölkerung die Sympathien für den Streik. Der
ÖGB gab sich aber bis zuletzt kämpferisch: Schon wollten die anderen
Teilgewerkschaften den ÖBB-Kollegen zu Hilfe eilen. Für kommende Woche wurden
österreichweit Betriebsversammlungen angekündigt, um die
Kollektiv-Vertragshoheit zu verteidigen.
„Wolfgang Schüssel will seine Reformen durchsetzen, auch auf die Gefahr hin,
dass der in Österreich übliche Konsens verloren geht“, klagte Franz Bittner,
Vorsitzender der Gewerkschaft Druck, Journalismus und Papier, im Gespräch mit
profil. „In diesem Sinne fährt Schüssel auf dem Kurs von Margaret Thatcher“.
Bittners Erkenntnis: „Schüssel hat eine klare Taktik: Er will den ÖGB in seiner
Gesamtheit schwächen.“
Wolfgang Schüssel als Gewerkschaftsfresser? Der Kanzler dementierte energisch,
auf den Spuren der „Eisernen Lady“ zu wandeln. „Ich will die Gewerkschaft nicht
spalten“, sagte er im profil-Interview. Es gehe keinesfalls um die Zerschlagung
einer der letzten roten Bastionen, beteuerten Vertraute des Kanzlers.
Tatsächlich ist das Verhältnis von Schüssel zum ÖGB schon vor Beginn der
schwarz-blauen Koalition schwer gestört: Ende Jänner 2000 verhalf ihm freilich
der Chef der Fraktion Sozialistischer Gewerkschafter, Metallerboss Rudolf
Nürnberger, mit seiner Weigerung, das Übereinkommen zwischen SPÖ und ÖVP zu
unterschreiben, zu einem willkommenen Grund, das Bündnis mit Jörg Haider zu
wagen.
Die Protestwelle des ÖGB gegen die schwarz-blaue Regierung hatte Schüssels
Aversion gegen den roten Riesen nur weiter verstärkt. Der ÖGB wurde zum Synonym
für Reformblockierer. Bereits 1995 wurde Schüssel, damals noch
Wirtschaftsminister, verwehrt, seine Reformen vor dem ÖGB-Kongress darzulegen.
Beim letzten Kongress Anfang Oktober hielt Schüssel zwar eine Rede, wurde aber
mit Pfiffen empfangen.
Nur als ein Lieblingsprojekt der ÖVP, die „Abfertigung neu“ mithilfe der
Sozialpartner zügig ausverhandelt werden konnte, legte sich kurzfristig des
Kanzlers Groll. Als der ÖGB, gestärkt durch eine Mitgliederbefragung, wieder
lautstark gegen Kürzungen im sozialen Bereich und gegen die Pensionsreform
mobilisierte, brachen die alten Konflikte wieder auf. Schüssel blies zum Angriff
auf Gewerkschaftsfunktionäre im Sozialbereich, allen voran den damaligen Obmann
des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger, Hans Sallmutter.
Thatcherismus. „Was wir erleben, ist ein kaum mehr versteckter Thatcherismus
durch den Bundeskanzler“, meint der Politologe Ferdinand Karlhofer. Während bei
den Reformen im Beamtenapparat durch die schwarz dominierte Gewerkschaft eine
Bremse eingebaut war, habe es bei der fast ausschließlich rot gefärbten
ÖBB-Gewerkschaft für Schüssel keine Zurückhaltung mehr gegeben.
„Der Bundeskanzler setzt bewusst provozierende Akte, die direkt in den
ureigensten Bereich der Gewerkschaften eingreifen“, so Karlhofer. „Die
Eisenbahner waren fast zum Streik gezwungen, sonst wären ihnen die Mitglieder
davongelaufen.“
Der Politologe Anton Pelinka sagt Österreich ein italienisches Szenario voraus:
Streiks, die in Österreich pro Beschäftigtem und Jahr bisher nur in Minuten und
Sekunden gemessen wurden, könnten nun zur Normalität werden, auf Kosten des
sozialen Friedens im Land.
Der schwarze Chef der Tiroler Arbeiterkammer, Fritz Dinkhauser, warnt bereits
vor einem „Flächenbrand“. „Schüssel macht hier eine brutale Politik über die
Köpfe der Betroffenen hinweg. Die sicher notwendigen Reformen kann man nicht
übers Knie brechen und gegen die Leute durchführen. Hier agiert Schüssel eiskalt
wie Maggie Thatcher. Er bringt die Leute gegeneinander auf. Er soll endlich
aufhören, alles, was in Österreich durch sozialen Frieden aufgebaut wurde,
schlecht zu machen.“
Q.: Profil 47 2003
http://www.news.at/profil/index.html?/articles/0346/561/69237_s1.shtml