Ein Sieg der Reformwilligen ?

Ob schwarz, ob rot, sie können nicht anders. Göran Persson, Schwedens sozialdemokratischer Ministerpräsident, erklärte am vergangenen Freitag, man müsse den Wohlfahrtsstaat stutzen: „Das derzeitige System ist zu teuer!“. Deutschlands Kanzler Gerhard Schröder (SPD) ist im Dauerkonflikt mit den Gewerkschaften, die seine Reformvorhaben bekämpfen. Tony Blair – den die SPÖ einst als Wahlhelfer plakatierte – kürzt, wo er nur kann.
Die Staatsbahnen hat der Brite längst erledigt. Gemessen an dessen Radikalität ist Kanzler Wolfgang Schüssel ein milder Sozialliberaler. Doch auch auf der österreichischen Insel der Saumseligen ist der Problemdruck gewaltig geworden.
Beim Versuch, Strukturen aufzubrechen, tut sich Schüssel schwer. Manches ist schlecht vorbereitet („speed kills“) oder steht unter dem Generalverdacht parteipolitischer Interessen (Hauptverband, ÖIAG). Doch es gibt Bewegung in die richtige Richtung.

Zwei Ziele hatte sich die Regierung bei den ÖBB gesetzt: Das Dienstrecht der Eisenbahner zu modernisieren und die Organisationsform des Unternehmens zu ändern. Die Gewerkschaft lehnte beides entschieden ab und begann den größten Streik, den das Land seit Jahrzehnten erlebt hat.
Alle Teilgewerkschaften solidarisierten sich mit der Begründung, nach den Eisenbahnern müssten alle Arbeitnehmer gesetzliche Eingriffe in ihre Kollektivverträge fürchten. Eine schräge Argumentation: Die Eisenbahner haben keine gewöhnlichen Verträge, sondern ein Sonderrecht für 47.000 Bedienstete, obwohl nur 11.000 im schweren Turnusdienst sind.
Mit einer offensiven Argumentation wären die Eisenbahner besser gefahren: Hätten sie gleichzeitig Änderungen im ganzen staatlichen und staatsnahen Bereich verlangt, wäre Schüssel in Schwierigkeiten gekommen. Denn im öffentlichen Dienst, bei der VP-Klientel, ist der Reformeifer des Wende-Predigers matt; keine Rede von einer grundlegenden Änderung der pragmatisierten Arbeitsverhältnisse.

Nach 66 Stunden Streik lenkten beide Seiten ein: Das Dienstrecht wird nicht per Gesetz geändert, sondern durch betriebsinterne Vereinbarungen – ein Punktesieg der Gewerkschafter. Das Unternehmen wird neu aufgeteilt – da punktet die Regierung.
Alles in allem ein Sieg der Reformwilligen über die Blockierer und Scharfmacher auf beiden Seiten.
Schüssel, Verzetnitsch, Gorbach, Haberzettl, das waren die Player in dieser Auseinandersetzung.
Bemerkenswert ist, wer aller keine Rolle spielte: Die FPÖ war als Partei abgemeldet; Haiders Versuch, in letzter Minute noch auf den Verhandlungszug aufzuspringen, wirkte lächerlich. Die Grünen fuhren Geisterbahn, was nicht weiter auffiel.
Bedeutungslos war auch, was die SPÖ ablieferte. Während die roten Gewerkschafter an vorderster Front kämpften, kamen von der Parteiführung nur die gängigen Phrasen und Platitüden. Überraschen kann das freilich nur jene, die immer noch an Alfred Gusenbauer als nächsten Kanzler glauben.
 

Kurier | 16.11.2003 | Seite 2 http://kurier.at/zeitung/innenpolitik/WM/index.php?artikel=442244